Helter Skelter - Der Mordrausch des Charles Manson
schon gewesen, bevor sie Charles Manson traf. Ich versuchte, ein Mindestmaß an Mitgefühl für sie aufzubringen und sie weitestmöglich zu verstehen, doch nachdem ich auf den Fotos gesehen hatte, was mit den Tate-Opfern geschehen war, hielt sich mein Mitleid sehr in Grenzen.
Caballero machte uns miteinander bekannt, und ich belehrte sie über ihre verfassungsmäßigen Rechte und bekam die Erlaubnis, sie zu vernehmen.
Vor der geöffneten Tür von Caballeros Büro saßen ein männlicher und ein weiblicher Hilfssheriff und beobachteten jede Bewegung von Susan. Caballero war die meiste Zeit anwesend und verließ den Raum nur, um ein paar Telefonate anzunehmen. Ich ließ mir von Susan die ganze Geschichte erzählen, von ihrer ersten Begegnung mit Manson 1967 in Haight-Ashbury bis zur Gegenwart. Ab und zu unterbrach ich ihre Erzählung mit Fragen.
»Standen Sie, Tex oder einer der anderen in der Nacht der Tate-Morde unter dem Einfluss von LSD oder anderen Drogen?«
»Nein.«
»Und in der nächsten Nacht, der Nacht, in der die LaBiancas ermordet wurden?«
»Nein, in keiner der beiden Nächte.«
Sie hatte etwas Rätselhaftes an sich. Einige Minuten lang redete sie schnell, dann hielt sie plötzlich inne und legte den Kopf ein wenig schief, als hörte sie Stimmen, die sonst niemand wahrnehmen konnte.
»Wissen Sie«, vertraute sie mir an, »Charlie sieht uns gerade zu, und er kann alles hören, was wir sagen.«
»Charlie ist oben in Independence, Sadie.«
Doch sie lächelte nur mit einem Ausdruck, der besagte, dass sie recht hatte und ich, ein Außenseiter, ein Ungläubiger, im Irrtum war.
Als ich sie beobachtete, dachte ich nur: Und das soll die Kronzeugin der Anklage sein? Ich soll mich auf die Aussage dieses seltsamen Mädchens stützen?
Sie war eindeutig verrückt, daran hegte ich keinen Zweifel. Wahrscheinlich nicht im juristischen Sinne unzurechnungsfähig, aber dennoch verrückt.
Wie bereits auf dem Tonband zu hören gewesen war, gab sie auch jetzt zu, Frykowsky Stichwunden zugefügt zu haben, leugnete jedoch, Sharon Tate erstochen zu haben. Da ich schon Hunderte von Vernehmungen geführt habe, bekommt man mit der Zeit einen Instinkt dafür, wenn jemand lügt. Dieser Instinkt sagte mir, dass sie Sharon Tate erstochen hatte, es mir gegenüber jedoch nicht zugeben wollte.
An diesem Abend musste ich noch über ein Dutzend anderer Zeugen vernehmen: Winifred Chapman, die ersten Polizisten, die jeweils am Cielo und am Waverly Drive eingetroffen waren, Granado und die Leute von der Abteilung für Fingerabdrücke im Erkennungsdienst, Lomax von dem Hersteller, der Hi-Standard-Waffen produzierte, den Gerichtsmediziner Noguchi und den stellvertretenden Gerichtsmediziner Katsuyama, DeCarlo, Melcher, Jakobson. Jeder von ihnen stellte mich vor eigene Probleme. Winifred Chapman war gereizt und quengelig: Sie wollte nicht aussagen, Leichen oder Blut gesehen zu haben … Noguchi war eine Quasselstrippe: Er musste sorgfältig auf eine Aussage vorbereitet werden, damit er beim Thema blieb. Danny DeCarlo hatte im Beausoleil-Prozess nicht überzeugt. Deshalb musste ich sicherstellen, dass man ihm diesmal glauben würde. Es war wichtig, aus den verschiedenen Zeugen – einige davon waren Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet – genau das herauszuholen, was relevant war, und diese Puzzleteile zu einer hieb- und stichfesten Beweisführung zusammenzufügen.
Sieben Mordopfer und eine Gruppe von Angeklagten: ein Fall, den es so wohl noch nie gegeben hatte und der wochenlange Vorbereitung erfordert hätte. Doch wegen Chief Davis ’ Eile, die Neuigkeit zu verkünden, waren uns nur Tage geblieben.
Es war zwei Uhr morgens, als ich fertig war. Doch ich musste noch meine Notizen zu einem Verhörkonzept verarbeiten. Um 3.30 Uhr hatte ich auch diese Arbeit beendet. Aber um sechs Uhr stand ich schon wieder auf, denn in drei Stunden mussten wir die Tate- und LaBianca-Morde vor das Große Geschworenengericht des County bringen.
5. Dezember 1969
»Tut mir leid , kein Kommentar.« Obwohl Verhandlungen des Großen Geschworenengerichts von Gesetz wegen geheim sein müssen – das heißt, weder die Bezirksstaatsanwaltschaft noch die Zeugen, noch die Geschworenen dürfen über die Beweisaufnahme sprechen –, ließen die Reporter sich nicht davon abbringen, doch nachzufragen. Es waren sicherlich 100 Berichterstatter in dem engen Flur vor dem Geschworenenzimmer versammelt, einige standen sogar auf Tischen, sodass es aussah, als seien die
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