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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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der Gutsbesitzer und deutete auf meinen Vater, »Erich glaubt, dass nur er allein etwas von der Gärtnerei versteht«. Er lachte wohlwollend. »Aber ich war nicht immer ein alter, dummer Gutsbesitzer. Ich bin viel in der Welt herumgekommen. Habe Afrika gesehen, die Wüste, die Muselmänner, die schwarzen Teufel. Ein faszinierender Kontinent.«
    Auch ich hörte nun gebannt dem alten von Kamphoff zu, ganz so wie Anke. Vielleicht war die schwarze Frau im Keller kein dummes Gerücht. Vielleicht hatten die Leute im Dorf mit ihren Vermutungen recht.
    Inge lächelte. »Wie geht es ihren Enkelkindern?«, fragte sie. »Mein Friedrich betet ihren Rutger an.«
    Ankes Gesicht leuchtete bei der Erwähnung von Rutgers Namen auf. Der Enkelsohn des alten Gutbesitzers musste dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein, und alle meine Freundinnen wollten ihn heiraten. Er ging nicht mit uns zur Schule, aber von Zeit zu Zeit erschien ein schwarzer Mercedes in Hemmersmoor, und wenn die Familie von Kamphoff aus dem Wagen stieg, gafften die Dorfbewohner mit offenen Mündern. Nach jedem Besuch, den Rutger unserem Dorf abstattete, behaupteten alle Mädchen, dass er ihnen zugezwinkert habe.
    Der alte Mann schien Inges Frage jedoch nicht gehört zu haben. »Es ist eine Schande, dass eine so junge Frau allein für sich sorgen muss«, sagte er. »Ihr Mann war ein Soldat?«
    Inge antwortete zögerlich. »Er ist in Litauen gestorben.«
    Johann von Kamphoff seufzte. »Schande«, sagte er. »Ich glaube, ich sollte Ihnen ein bisschen unter die Arme greifen. Fehlt Ihnen etwas? Braucht Ihr Sohn vielleicht etwas? Ich möchte Sie nicht beschämen, aber wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie es nur.« Sein Gesicht wirkte dabei ungewöhnlich finster, so als ob er etwas Unschickliches gesagt habe, aber nun hellte sich seine Miene wieder auf. »Wir müssen einander doch helfen, nicht wahr?« sagte er. »Sie sind eine gute Arbeiterin. Ich biete Ihnen keine Almosen an.«
    Inge blieb stumm. Sie schien nicht zu wissen, was sie sagen sollte. »Danke«, brachte sie schließlich mit Mühe hervor und lächelte. Der Gutsbesitzer lächelte zurück, zwinkerte und wandte sich schnell ab.
    Mein Vater sprach erst wieder, als es dem alten Mann zu heiß im Garten geworden und er zum Gutshaus zurückgekehrt war. »Man kann doch so nicht arbeiten«, schimpfte er. »Ja, Herr von Kamphoff, gewiss, Herr von Kamphoff.« Sein Gesicht und sein blanker Schädel waren ganz rot. Für eine Weile starrte er gedankenverloren vor sich hin. Anke und ich rupften noch immer am Rasen herum, doch mein Vater schien unsere Anwesenheit in seinem Ärger völlig vergessen zu haben. Er fuhr Inge scharf an. »Und das alles wegen dir. Lächle nur, mach nur ein hübsches Gesicht. Ermutige den alten Gockel nur. Wirst schon sehen, was dabei herauskommt.« Sein Gesicht war violett.
    Inge blickte sich rasch nach uns um; sie hatte uns nicht vergessen. »Soll ich wieder in der Waschküche oder auf dem Feld arbeiten?«, fragte sie leise.
    Nun drehte sich auch mein Vater nach uns Mädchen um. »Unsinn«, gab er hastig zurück, und sein Zorn legte sich fast augenblicklich.
    *
    Gegen Mittag kam Friedrich in den Garten hinaus, um seiner Mutter Butterbrote und einen Apfel zu bringen. Er schaute mich und Anke mit großen Augen an und zog dann ein Gesicht. Mein Vater holte unser Essen aus dem Lastwagen, gab mir die in Papier gewickelten Stullen und sagte, »Lauft schon los. Ihr könnt dem Friedrich das Labyrinth zeigen. Aber schreit nicht herum. Muss niemand wissen, dass ihr hier herumkraucht.«
    Nur zögerlich machten wir uns auf den Weg. Friedrich schien von der Idee überhaupt nicht begeistert. Er sah sich nach seiner Mutter um, aber sie winkte ihn fort. Missmutig stapfte er mit uns durch den Garten. »Ich kenn das Labyrinth schon«, sagte er. »Das ist langweilig.«
    »Du bist langweilig«, gab Anke zurück.
    »Was wollt ihr denn im Irrgarten?«, fragte er. »Der ist doch jetzt ganz kahl.«
    »Anke kennt ihn noch nicht. Es ist ihr erstes Mal auf dem Gut«, sagte ich wichtig.
    »Ich kenne es wie meine Westentasche«, sagte er. »Und ich kann, wann immer ich will, in die Ställe gehen. Vielleicht darf ich sogar eines der Pferde reiten.«
    »Die gehören dir doch gar nicht«, sagte Anke. »Du bist doch gar nicht von hier.«
    »Na und?«, sagte Friedrich. »Ohne Linde wärst du überhaupt nicht hier. Und sie ist nur die Tochter des Gärtners.«
    »Und sie darf hier auch nicht reiten.«
    »Aber ich bin ein Junge.« Friedrich

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