[Henderson_Charles]_Todesfalle-Die_wahre_Geschicht(Bookos.org)
Nachrichten tatsächlich brachte, Carlos hätte sich nicht darum gekümmert. Amerika oder die U. S. Marines waren an diesem Konflikt nicht beteiligt. Er hatte an diesem Tag John Wayne, die Japaner und einen echten Krieg im Kopf. Sands of Iwo Jima war einer der wenigen Filme, in denen Sergeant Stryker, ›The Duke‹, von den ›Bösen‹ getötet wurde. Carlos hatte um Stryker getrauert, und als Marines von der Echo Kompanie, 28. Regimental Combat Team, auf dem Mount Suribachi das Sternenbanner aufzogen, hatte er gejubelt.
Schließlich war auch er in Gedanken bereits ein Marine. Bereits vier Jahre zuvor, damals war er acht, hatte er sich entschlossen, eines Tages dem United States Marine Corps beizutreten. Carlos war sicher, daß es in diesem Leben keine größere Erfüllung geben konnte.
Als Carlos, sein Shetlandcollieweibchen Sassy dicht auf den Fersen, die Mauser stramm in der Stellung ›Gewehr über‹ auf der Schulter, auf den Wald zumarschierte, summte er die Hymne der Marines.
Seinen ersten Marine hatte er mit acht Jahren in dem Wohnblock in Memphis gesehen, wo er mit seinen Eltern lebte. Sein Vater hatte seinen Job bei der Eisenbahn von Arkansas aufgegeben und arbeitete jetzt in der Hafenstadt am Mississippi als Schweißer für die Tennessee Fabricating Company.
Damals wohnten ein junger Marine und seine Frau ein Stockwerk unter der Familie Hathcock, und seit Carlos zum erstenmal den adretten Mann mit der aufrechten Haltung, dem eckigen Kinn und den steinharten Armmuskeln gesehen hatte, konnte er sich nichts Großartigeres vorstellen, als ein Marine zu werden.
Nach den Nachrichten sang Bill Monroe in näselndem Ton von seinem ›Brown Eyed Darling‹, und als Carlos Großmutter in ihrer Küche die Fliegengittertür mit der quietschenden, rostigen Feder öffnete, summte sie die Bluegrass-Melodie mit.
»Carlos!« schrie sie mit ihrer vom Alter ein wenig überschnappenden, hellen Großmutterstimme, einer Stimme, die kleine, inzwischen erwachsen gewordene Jungen mit Erinnerungen an Barfußlaufen im warmen Sommer und an Güte in Verbindung zu bringen pflegen. »Das Essen ist bald fertig. Lauf mir jetzt nicht weg und mach dich schmutzig. Hast du gehört?«
»Ja«, rief Carlos zurück. »Ich bin nur hier draußen - mit Sassy!«
Sobald Carlos hinter der dichten grünen Wand aus Unkraut, Büschen und Bäumen am Rand des Gartens seiner Großmutter verschwunden war, ließ er sich neben dem dicken Stamm einer alten Kiefer, die den Garten überragte, auf die Knie fallen. Seine Fantasie versetzte ihn auf magische Weise durch Zeit und Raum in den Dschungel von Guadalcanal, wo er sich dem dort im Einsatz befindlichen 1. Marine Raider Bataillon anschloß.
Der magere, schwarzhaarige Junge trug jetzt nicht mehr Jeans und T-Shirt, sondern den Kampfanzug des Marine Corps und schwere Stiefel. Allein stand er den feindlichen Japanern gegenüber, die hinter jedem Baum, hinter jedem Baumstumpf, hinter jedem Felsen lauerten.
Leise schob Carlos den Lauf seines Gewehrs durch die stacheligen Ranken eines Brombeergestrüpps. Sich mit den Zehen vorwärtsschiebend, glitt er geräuschlos über Kiefernnadeln und feuchte Erde. Dann lag er unter einem Schirm aus verfilzten Ranken im Versteck.
Heute jagte er Japaner, ähnlich wie er sonst mit seinem einschüssigen J. C. Higgins Gewehr Kaliber .22 Kaninchen und Eichhörnchen beschlich. Selten ging ihm ein Schuß daneben.
Carlos jagte das Kleinwild, damit die Familie Fleisch auf den Teller bekam. Seine Mutter und sein Vater hatten sich getrennt, und jetzt waren er und sein zwei Jahre alter Bruder Billy Jack mit ihrer Mutter hierher zu seiner Großmutter gezogen. Sie waren arm.
Aber Carlos dachte nicht an Essen, als er an diesem warmen Frühlingstag am Lauf seiner Mauser entlangvisierte und eine Schildkröte aufs Korn nahm. Eine Schildkröte, die sich jetzt in einen gut getarnten japanischen Heckenschützen verwandelte - den tödlichsten Erzfeind der Edsons Raiders, der Helden des Pazifik.
Die Hündin des jungen Kriegers hatte jedoch keinen Sinn für die angespannte Lage, sie trottete zu der Schildkröte hinüber, stieß sie mit der Nase an und begann zu bellen. Die Schildkröte zog sich in ihren Panzer zurück.
Carlos wälzte sich unter den Dornenranken hervor, stand auf, faßte das lange Gewehr am Lauf und stellte den Kolben auf seine Zehe. »Sassy!« rief er und blickte den Hund böse an. Dann sah er auf seine Kleidung hinunter. Jetzt befand er sich nicht länger im Südpazifik, sondern wieder
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