[Henderson_Charles]_Todesfalle-Die_wahre_Geschicht(Bookos.org)
im Wald von Geyer Springs, Arkansas, und mit einem Mal wurde ihm klar, daß er mit Schwierigkeiten zu rechnen hatte. Schmutzflecken bedeckten die Knie seiner einstmals sauberen Jeans. Seinem T-Shirt war es nicht besser ergangen. Hastig wischte er die lose Erde ab, aber die lehmigen Flecken auf Knien und T-Shirt blieben. Das würde zu Hause Probleme geben.
Carlos Großmutter konnte einfach nicht begreifen, daß Marines - besonders wenn sie zwölf Jahre alt sind - beim Kämpfen keine sauberen Knie behalten können.
»Caaaaa-loooooos«, klang ihre singende Stimme durch den Wald.
»Koooooomm-mmeeee«, antwortete er besorgt.
Am 20. Mai feierte Carlos seinen zwölften Geburtstag und packte seine Geschenke aus. Dabei fand er etwas Besonderes, neben dem alles andere verblaßte - eine einschüssige Remington Schrotflinte Kaliber 12. Seine Mutter und seine Großmutter waren der Ansicht gewesen, er solle zu diesem Geburtstag etwas bekommen, was ihm mehr Verantwortung abverlangte und mehr Möglichkeiten bot als die alte .22er Büchse.
Carlos Hathcock hatte schon im Alter von zwölf Jahren außergewöhnliche Fähigkeiten im Umgang mit einem Gewehr bewiesen. Als er den schmalen, länglichen Kasten sah, wußte er, daß er nur eines enthalten konnte - eine neue Büchse oder eine Schrotflinte.
Feuerwaffen waren für den Jungen Schützen etwas ganz Besonderes. Er betrachtete sie niemals als Spielzeug, sondern stets als Werkzeuge für eine Tätigkeit, für die er große Achtung empfand und der er sich mit Genuß hingab - die Jagd.
Mit einer Schrotflinte konnte Carlos nun, so dachte jedenfalls seine Großmutter, Tauben, Fasane und Wachteln schießen, wenn die Zeit dafür kam. Carlos hingegen sah die Schrotflinte als wirkungsvolleres Mittel, um sich die Eichhörnchen und Kaninchen zu schnappen, die oft durch das Gestrüpp davonflitzten, ehe er mit dem Gewehr zum Schuß kam.
Es war neun Uhr morgens, als Carlos den Kasten mit der neuen Schrotflinte und den dazugehörigen Patronen öffnete. Um neun Uhr dreißig marschierte er, die Waffe über dem Arm, den Verschluß geöffnet, eine Patrone in der Kammer, in den Wald.
Plötzlich huschte etwas Graues an ihm vorbei und erregte seine Aufmerksamkeit. In einem einzigen Augenblick hatte Carlos den Verschluß zugeklappt und die Flinte an die Schulter gehoben. Er hörte das Kaninchen vor sich im Gestrüpp rascheln und wartete, bis wieder ein Fellbündel in Sicht kam. Diesmal würde er bereit sein.
Wieder sah er etwas flitzen und feuerte; das Kaninchen hoppelte über einen Hügel davon. Er hatte nicht getroffen. Um elf Uhr hatte Carlos noch immer nichts erlegt, sondern mehrmals sein Ziel verfehlt - und das bei einfachen Schüssen. Da packte er die Schrotflinte weg, nahm seine einschüssige Büchse und marschierte in den Wald zurück. Die .22er hatte zwar nicht die starke Streuung der Schrote, aber damit brachte Carlos jedesmal Beute nach Hause. Kurz nach Mittag kehrte er mit zwei Eichhörnchen und einem Kaninchen an einem Strick zurück.
Carlos kam nie mit der Schrotflinte zurecht, obwohl er immer wieder versuchte, Tauben, Fasane und Wachteln zu schießen. Er ging oft damit auf die Jagd, aber jedesmal griff er schließlich auf sein Kleinkalibergewehr zurück, um Beute nach Hause zu bringen.
Warme, feuchte Luft hing schwer in der morgendlichen Stille, als die freundlichen Kindheitserinnerungen verschwammen und zu bewußten Gedanken wurden. Carlos erwachte und fühlte sich unbehaglich, weil ihm alles am Leibe klebte. Der Regen, der ihn in einen erholsamen Schlaf gewiegt hatte, leitete nun einen neuen feuchten Tag in Vietnam ein.
Vor Hathcocks Bude saß Lance Corporal Burke und schnitzte an einem Stock herum. Hathcock sah Burkes Hinterkopf mit dem Hut am Fliegengitter lehnen und rief schläfrig: »Schon lange da?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich dachte mir schon, daß Sie es nicht besonders eilig haben, weil wir doch eine ganze Woche wegbleiben werden. Da wollte ich Sie noch schlafen lassen.«
»Ich hole nur meinen Tornister und mein Gewehr, dann bin ich da. Wieviel Uhr ist es?«
»Fast halb sieben.«
Hathcock und Burke gingen zur Gefechtsoperationszentrale, wo rund um die Uhr die Funkgeräte knackten. Ein Gunnery Sergeant mit müden Augen saß an einem Feldschreibtisch, machte sich auf einem gelben Block Notizen und stellte aus Einzelmeldungen, die mit Bleistift auf dünne gelbe Papierstreifen gekritzelt waren, einen Bericht zusammen.
»Morgen, Gunny«, sagte Hathcock leise zu dem Nachrichtenmann.
»Hi,
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