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Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Titel: Hendrikje, Voruebergehend Erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Purschke
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gemeint ist, und erst als sie ein paar tiefe, müde Kummerfalten um die sonst so makellosen Palmenbergschen Augen sieht, glaubt sie der Ärztin.
    »Ich hatte nur noch eins im Kopf: Geld. Oder besser: Geld verdienen. Ich wusste, dass ich keine Zeit verlieren durfte, sondern sofort sofort sofort Geld verdienen musste. Lisa wollte, dass ich ihr Loft bemale, also dachte ich: Sofort hinfahren und gucken, wie weit dieser Dieter mit seinen Bauarbeiten ist, vielleicht kann ich ja schon anfangen. Ich bin also mit meinem schönen roten Rennrad zu Lisas Loft gefahren, es war schon dunkel draußen, und wirklich habe ich Dieter da angetroffen, diesmal ganz allein, er war am Verlegen von Küchenfliesen, es hingen zwei kleine Scheinwerfer von der Decke, damit er Licht hatte, und so war das Loft beleuchtet wie eine schummerige Theaterkulisse, und wie Dieter da so am Arbeiten war, also, das sah richtig klasse aus, wie ein Gemälde von Rembrandt, rein lichttechnisch gesehen. Als Dieter merkte, dass da plötzlich jemand stand, hat er sich richtig erschrocken, aber dann hat er gesehen, dass nur ich das war, und da hat er sich, glaub ich, gefreut. Er hielt sich die Hand vor die Augen, weil das Licht ihn blendete, und dann erkannte er mich und fing zu grinsen an und sagte: ›Ach, die Lady mit dem tollen Fahrrad …‹, und das war ein Kompliment für mich. Er hat sofort aufgehört zu arbeiten und hat den kleinen Heizlüfter angemacht, den Lisa ihm hingestellt hatte, und im Tauchsieder Wasser warm gemacht. Damit hat er dann in einer großen Tasse einen Suppenwürfel aufgebrüht. Und weil er nur eine Tasse hatte, haben wir uns die Suppe geteilt. Er hat gesagt, dass er die Wände erst als Allerletztes verputzt, erst, wenn alles andere fertig ist, es würde also noch ein Weilchen dauern, bis ich mit dem Wischen anfangen könnte. Ich hab genickt und gefroren und mich umgesehen und gesehen, dass es noch viel zu tun gab. Das konnte wirklich noch lange dauern, das konnte womöglich März werden, bis Dieter die Wände verputzt hatte. Es war ja noch gar nichts passiert, nicht die zusätzlichen Wände eingezogen, und einen richtigen Estrich gab es auch noch nicht … Als ich Dieter wieder angucke, da schaut er mir direkt ins Gesicht und sagt: ›Du siehst scheiße aus.‹ Ich hab ihm gesagt, dass ich grad ’ne Menge Ärger hätte, und er wollte wissen, was los wäre, aber ich wollte ihm die ganze lange Geschichte ersparen und mir irgendwie auch, denn es war grad so schön mit ihm und ich wollte uns nicht den Abend verderben.
›Ach, halt der übliche Scheiß …‹, hab ich dann bloß gesagt, und Dieter nickte und sagte: ›Das kenn ich.‹ Und eh ich auch nur irgendwas denken konnte oder machen konnte, ehe ich ihn wieder angucken oder die Bouillontasse abstellen konnte oder irgendwas, da küsst er mich plötzlich. Ehe ich überhaupt bis 1 zählen konnte. Plötzlich war mein Kopf zwischen seinen Händen und seine Lippen auf meinen, und er hatte weiche, warme Lippen, und der Kuss war schön und hörte überhaupt nicht mehr auf. Mir wurde heiß, und Dieter fing an, den Reißverschluss meiner Anorakjacke herunterzuziehen, und da musste ich kichern, weswegen Dieter aufhörte mich zu küssen, aber das ging mir nun doch irgendwie zu schnell. Ich hab den Reißverschluss wieder hochgezogen und gesagt: ›Ich kann das nicht so schnell‹, und Dieter hat genickt und gefragt: ›Du hast ’nen Kerl?‹ Und ich hab gesagt: ›Ja. Ich hab … also … Ernst …‹
    ›Und?‹, wollte Dieter jetzt wissen, ›hat Ernst was mit dem Ärger zu tun?‹
    ›Nee‹, hab ich gesagt, ›Ernst weiß noch gar nichts davon, der ist im Skiurlaub. Es ist halt‹, und nun erzählte ich es ihm eben doch, ›dass meine Omi gestorben ist. Und in derselben Nacht sind alle meine Bilder verbrannt, und die machen mich jetzt für den Brand verantwortlich und ich bin pleite für den Rest meines Lebens.‹ Und da merkte ich erst, dass ich schon mittendrin in der schönsten Flennerei war, also, ich heulte, was das Zeug hielt. Und Dieter hat mich einfach nur in den Arm genommen und mich festgehalten und mich heulen lassen und gedrückt und gesagt: ›Na dann heul erst mal ’n Stückchen.‹ Das hab ich dann gemacht. In Dieters Armen. Und als ich fertig war, hat Dieter gesagt, ich sollte mal lieber bei ihm bleiben. Mit Sachen an und wie Bruder und Schwester könnten wir beide in dem Feldbett schlafen, das Lisa ihm hingestellt hatte, das würde schon gehen und für alles andere wär es

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