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Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Titel: Hendrikje, Voruebergehend Erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Purschke
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gesellschaftliche Demütigung, die narzisstische Kränkung durch eine jüngere Nachfolgerin und der Verlust des Logenabonnements … und schon stiefelt Madame mit dem schlechten Gefühl entschlossen an Bord. Der Rest ist Geschichte.
    In den Iden des März hatte Cäsar genau so ein Eheproblem. Sein Weib Calpurnia hatte schlecht geträumt und bat Cäsar innigst, nicht in den Senat zu gehen, wenigstens nicht heute. Da war natürlich Zoff angesagt, Frauen glauben offenbar immer, Männer gingen ins Büro um sie, die Frauen, zu ärgern. Also schmeißt Cäsar wütend seine Toga über die Schulter, nimmt seine Schriftrollen und geht – selbstverständlich! – in den Senat. Er kann verdammt noch mal nicht zu Hause bleiben, weil Calpurnia schlecht träumt! Er durch Rom, hoch die Stufen zum Senat und dann aber das große Staunen: ›Auch du, mein Sohn?!!‹
Nein, lieber Leser, wir wissen nicht, was geschieht, wenn wir in ein Flugzeug steigen oder zur Arbeit gehen – und wir würden es nicht bleiben lassen, wenn man es uns vorher sagte. Das alte Jahr hätte schlicht nicht stattgefunden, wenn wir irgendetwas geahnt hätten von dem, was uns zustoßen würde. Wir hätten nicht einmal einen Faden durch eine Nadel gezogen, um einen Socken zu stopfen, denn der Socken hätte ja erst gar kein Loch bekommen. In der Stunde seines Todes: Hätte Cäsar da gewünscht, als einfacher Olivenbauer vor den Toren Roms gelebt, um das Unglück vermieden zu haben? Kann ich mir nicht vorstellen.
    Um Missverständnisse zu vermeiden: Wenig Böseres ist denkbar, als das vollbesetzte World Trade Center einstürzen zu lassen, aber was, wenn es nie erbaut worden wäre …? Dann würden auf der Insel Manhattan heute noch Indianer wohnen, und das wäre ja tatsächlich … äh, nee. ’tschuldigung. Das war jetzt ein blödes Beispiel.
    Was ich sagen wollte, war eigentlich: Katastrophen vermeiden hieße das Leben vermeiden, und das Leben ist nicht, wie es ein Nachkriegsgerücht besagt, nett.
    Nun, lieber Leser, haben Sie Appetit bekommen auf ein neues Jahr? Sollen wir den Socken noch mal stopfen? Wenn ja, denken Sie daran, was mein leider nicht mehr lebender Opa sagte: Es reicht nicht, die Dinge zu tun, du musst sie auch gut tun.
Ihr, vom Chefredakteur unter Androhung des Rausschmisses zu ›etwas Positivem zum Neuen Jahr‹ gezwungener
    Sugar Brown
»Das war Sugar Browns Neujahrskolumne«, erklärt Hendrikje der Palmenberg und fügt, während sie den ausgeschnittenen Zeitungsartikel wieder zusammenfaltet und in die Hosentasche steckt, hinzu: »Ich wollte zum ersten Mal dem doofen Bruno recht geben, der einmal über eine andere Sugar-Brown-Kolumne gesagt hat: ›Der Typ schreibt den Scheiß nur für Geld.‹«
    »Aber warum denn?«, fragt die Palmenberg. »Das passt doch sehr zu Ihrer Situation.«
    »So was kann nur einer schreiben, der keine Ahnung von persönlichen Katastrophen hat. Ich meine, klar, rein theoretisch hat er recht, den Socken noch mal stopfen, das ist natürlich ein edler Vorsatz, nur war ich Anfang des Jahres in der Situation, nicht mal mehr einen Faden zu haben. So was vergessen die Klugscheißer immer.«
    Die Palmenberg seufzt und schaut Hendrikje mit leichter Resignation an. »Also gut, lassen wir Sugar Brown. Was geschah als Nächstes? Bleiben Sie bitte streng in der Chronologie.«
    »Ja. In den ersten Januartagen war das mit dem Finanzamt und der Selbstanzeige, und ich habe einfach im Café weitergearbeitet. Ich weiß nicht, was mit den Gästen los war, ich glaube, dass die alle schreckliche Weihnachten verbracht hatten, alle Leute waren unfreundlich und aggressiv und durchgeknallt, aber das hab ich schon oft beobachtet nach dem Fest der Liebe.
    An einem Tisch saß ein Geschäftsmann in einem eleganten Nadelstreifenanzug, halt so ein richtiger Bilderbuchhanseat, vielleicht sogar ein Senator, ganz distinguiert, und der saß da vor einem Glas Champagner, zog plötzlich seine Schuhe und seine Strümpfe aus und fing an, sich aus einem kleinen Fläschchen eine Tinktur zwischen die Zehen zu pinseln. Mitten im Café! Total ungerührt. Stellen Sie sich das vor. Ich hab nichts gesagt, ich war zu schockiert.
Dann bin ich an einen Tisch und da hält mich eine Oma an und fragt mich, wann die Züge nach Frankfurt fahren. Und das weiß ich zufällig, weil ich mein schönes rotes Rennrad oft am Metallrahmen des Fahrplans festschließe, wir sind ja genau gegenüber vom Bahnhof, und ich sage: ›Ja, jede Stunde 19 nach von Gleis 7.‹
    Das hört

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