Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
auf die andere Seite, so dass ich mich um 180 Grad gedreht hatte und Ernst angucken konnte, mit dem Dachfirst zwischen den Beinen.
Ernst sah mich durch das Fenster an, und aus seinen Augen blitzte mir ein Hass entgegen, dass ich vor Schreck fast von diesem Dach gefallen wäre.
›Warum springst du nicht einfach runter?‹, fragte er mich, und ich fand das ganz schön frech, weil mir jetzt dämmerte, dass er sich wahrscheinlich einen Vorteil davon versprach, und dass es gar nicht mein Seelenfrieden war, um den er sich sorgte, und da sagte er auch prompt: ›Für deinen Seelenfrieden.‹«
»Was für einen Vorteil hätte sich Ernst Ihrer Meinung nach davon versprochen?«
»Na, er fragte doch am Anfang, ob ich schon bei der Polizei gewesen wäre, um mich zu stellen, und dass das strafmildernd für mich sein würde. Und ich dachte am Anfang, er kommt, um mit mir zur Polizei zu gehen, um mich direkt selbst hinzubringen, damit ich mich stelle. Aber plötzlich dachte ich: Nee, der hat
Angst
, dass ich zur Polizei gehe und sage, dass
er
das Gift in das Sorbet getan hat. Dann ist
er
nämlich dran. Aber wenn ich meinen Selbstmord jetzt nachholen würde, wäre er fein raus aus der Sache.«
»Mein Gott, Hendrikje, Sie merken ja auch wirklich alles …«, sagt die Palmenberg.
»Ich weiß nur nicht«, sagt Hendrikje mit ratlosen Augen, »wieso Paula mir das angetan hatte, diese Leute zu mir führen …«
»Gott, Hendrikje«, schnauft die Palmenberg ungehalten, »das kann sich doch jedes Kind an drei Fingern abzählen! Paula wird in ihre Wohnung geschlichen sein, die, wie Sie ganz zu Recht vermutet hatten, wegen der ein-und ausgehenden Handwerker offen stand. Sie hat es auch unbemerkt in Ihr Schlafzimmer geschafft, wo sie, peinlich darum bemüht, nicht schon wieder einen Fehler zu machen, zuerst das Schmuckkästchen an sich nahm. Da hat wahrscheinlich der Handwerker X, der, von dem Sie noch gelogen haben, er hätte eine Liebesnacht mit Ihnen verbracht, was gemerkt. Er ist in die Küche gegangen und hat zu Lisa, Ernst und Sophie, die natürlich nach dem Vorfall in Schleswig-Holstein unzertrennlich waren, gesagt: ›Ich glaub, da ist jemand im Schlafzimmer‹, und dann haben die nachgeguckt und Paula festgehalten. Ganz einfach.«
»Ja, aber«, flennt Hendrikje, weil sie die plötzlich aus der Palmenberg hervorbrechende Aggression überhaupt nicht begreift, »Paula wusste doch, dass sie trotzdem, auch wenn so was passiert, nicht sagen sollte, dass sie mich kennt und dass ich sie geschickt habe.«
»Gott, Hendrikje, Sie nerven mich, ehrlich. In dem Augenblick, wo Ernst, Lisa und Sophie Paula mit dem Schmuckkästchen in der Hand gesehen haben, das so gezielt am richtigen Ort gesucht und gefunden wurde, wussten die doch von selbst, dass Sie Paula geschickt haben! So. Die halten Paula fest. Paula will sich losmachen, aber die sind zu dritt. Dann sind die natürlich schlau und geben sich sanft und freundlich. Haben in kürzester Zeit – eben wegen des Schmuckkästchens – aus Paula herausgepresst, wer sie geschickt hat. Paula verrät aber immer noch nicht, wo Sie sind, bis die ihr klar machen, dass sie in Ihrer Gegenwart in Lebensgefahr ist.«
»In Lebensgefahr?!«
»Ja. Die drei erzählen Paula, dass Sie Holger umgebracht haben und deswegen auf der Flucht sind.«
»Und wieso sollte Paula denen so was glauben?«, fragt Hendrikje empört.
»Na, unter anderem, weil die allerersten Worte, die Sie zu Paula sagten, als Sie sie im Abbruchhaus zufällig wiedertrafen, ›
Ich könnte dich umbringen‹,
waren! So. Paula kriegt Angst. Ernst, Lisa und Sophie wirken freundlich und scheinen nur ihr Bestes zu wollen. Sie führt die drei ins Abbruchhaus, in dem die anderen sich nicht auskennen. Paula bereut vielleicht jetzt, dass sie die Leute hergebracht hat, und rennt vor, um wenigstens als Erste bei Ihnen zu sein. Was aber hört Paula als Erstes, als sie dann endlich im Türrahmen steht? Sie hört, wie Sie sich über eine Zeile von Sugar Brown kaputtlachen:
die, die einen stören, für eine Weile erschießen!
Haha, wie komisch, kicher kicher. Da schließlich ist Paula endlich restlos davon überzeugt, dass Ernst, Lisa und Sophie recht hatten, als sie ihr sagten, sie sei in Lebensgefahr bei Ihnen, und ist froh, dass sie die Leute hergebracht hat, die mittlerweile ihren Weg auch von allein gefunden haben und nun ebenfalls in der Tür stehen.«
Hendrikje ist kreidebleich geworden. So hat sie die Palmenberg ja noch nie erlebt. Sie nickt
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