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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Dachbalken, den ich für geeignet
     hielt. Dann hab ich mir von dem Brett mit den Seemannsknoten einen Stek ausgesucht, das ist ein Knoten, der seine Festigkeit
     erst durch Zugkraft erhält, der schien mir am besten geeignet zu sein. Den hab ich dann erst mal gebastelt und dann das andere
     Ende des Telefonkabels schön am Dachbalken festgeknotet. Dann hab ich mich auf den Fußboden gesetzt und meine letzte Zigarette
     geraucht und immer schön aufgepasst, dass ich die Asche in das leere Marmeladenglas mit dem Wasser schnippe, damit es nicht
     gleich schon wieder brennt. Als ich die Zigarette zu Ende geraucht hatte, hab ich das Marmeladenglas mit der Kippe gut verschraubt
     und dann bin ich aufgestanden und hab die Dachluken aufgemacht, weil ich dachte: Hendrikje, du weißt nicht, wie lange es dauert,
     bis sie dich finden, und dann will ich nicht dran schuld sein, wenn das ganze Haus stinkt. Dann bin ich auf das Bügelbrett
     geklettert, genau unter meinen Telefonkabelstek und hab mir die Schlinge um den Hals gelegt. Ich stand ganz still und überlegte
     mir, wie ich jetzt am besten das Bügelbrett unter mir wegtrete, damit es keine Komplikationen gibt, als das Licht im Treppenhaus
     anging. Das war deutlich zu sehen, der Lichtschein fiel durch die Dachbodentür, und ich dachte, okay, das muss ich jetzt erst
     noch abwarten, da kommt einer nach Hause und nicht, dass ich auf mich aufmerksam mache. Ich hörte schnelle Schritte im Treppenhaus,
     die Person kam nach oben, also nicht bis zum Dachboden, aber doch bis in den dritten Stock, in mein Stockwerk.
    |62| Einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob das vielleicht Ernst sein könnte, der alles bereut und zu mir zurückkommt, ich lauschte
     und hörte dann aber nur ein dumpfes, kleines, plumpes Plumpsen und wie die Person wieder weglief, und da fiel es mir ein!
     Das war die Zeitung! Mein Abo! Die Zeitung kommt immer nachts gegen zwei Uhr, das war die Zeitung mit einer druckfrischen
     Kolumne von Sugar Brown! Die wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen! Ich dachte, das kann ich ja eben schnell noch
     machen, die Kolumne lesen, und ohne zu überlegen hab ich irgendeine hastige Bewegung gemacht. Ich hatte wohl im Augenblick
     vergessen, dass ich die Schlinge schon um den Hals hatte, jedenfalls verlagerte sich mein Gewicht auf dem Bügelbrett irgendwie
     ungünstig, das Bügelbrett krachte zusammen, und ich fiel hin, ich fiel auf den Fußboden, trotz der Schlinge. Es machte einen
     Mordslärm, es schepperte und krachte, und ich bin mit dem Gesicht nach vorne gefallen, mit der Schläfe an einen der Füße des
     Bügelbretts und überhaupt tat das alles sehr weh.
    Seltsamerweise hat man während eines solchen Falls wahnsinnig viel Zeit, sich Gedanken zu machen. Als ich fiel, dachte ich
     natürlich, dass mich der Sturz unbedingt und mit tausendprozentiger Sicherheit umbringen müsste, wegen der Schlinge um meinen
     Hals. Und da dachte ich: Scheiße, unten auf meiner Matte liegt Sugar Browns Kolumne, und ich sterbe hier oben. Scheiße Scheiße
     Scheiße. Und als ich dann am Boden lag und mir alles wehtat und ich mich langsam berappelte, da hab ich mir dann erst mal
     den Stek angeschaut, aber der hatte sich nicht durch Zugkraft gefestigt, sondern sich durch Zugkraft gelöst.«
    »Aha.«
    »Ja, aha. Scheißbiest.«
    »Und?«, fragt die Palmenberg gedehnt, »war denn Sugar |63| Browns Kolumne wenigstens eine Bereicherung in Ihrem übrig gebliebenen Leben?«
    »Verarschung. Es war Verarschung.«
    »?«
    »Er schrieb, es wäre ihm heute nichts eingefallen, und druckte ein Rezept für Hühnersuppe ab.«
    »Ein Rezept für Hühnersuppe?«
    »Hmhmm«, konstatiert Hendrikje beleidigt, »und dass man zwar Karotten reintun soll, aber die Karotten bloß nicht klein schneiden,
     das würde die Suppe trübe machen.« »
    Die Suppe trüben …«, nickt die Palmenberg versonnen.
    »Ja. Verarsche eben.«
    »Ich weiß nicht, was daran Verarsche sein soll. Einem Kolumnisten fällt einen Tag nichts ein, und er beglückt die Menschheit
     mit Hühnersuppe. Zu den Ereignissen in meinem Leben, bei denen ich mich am wenigsten verarscht gefühlt habe, gehört definitiv
     der Genuss von Hühnersuppe.« »Da sind Sie aber leicht zu beglücken«, sagt Hendrikje, sauer, dass die Palmenberg so wenig Anteil
     nimmt an der Schilderung ihres Selbstmords, steht auf und geht ohne ein weiteres Wort hinaus. Und Frau Doktor Palmenberg schaut
     erlöst auf das kleine Armbandührchen, das sich antik

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