Hendrikje, vorübergehend erschossen
meines Erwachens dagelassen hatte, denn ich hatte wohl eine Lungenentzündung.
Gott, wollte ich sterben vor Scham. Der doofe Bruno hatte mir das Leben gerettet, obwohl ich ihn erst vor wenigen Tagen so
beleidigt hatte. Er hatte mich in sein Bett gesteckt und selber auf dem Sofa geschlafen, obwohl ich ihm gesagt hatte, dass
sein distinguiertes Getue eine Unverschämtheit wär. Er hatte einen Arzt kommen lassen und mir Bouillon gekocht, obwohl ich
ihm gesagt hatte, dass er scheiße aussieht und ich ihn nicht vermissen würde. Stellen Sie sich mal vor,
wie
ich den vermisst hätte, wenn er mich nicht am Bahnhof aufgelesen hätte!«
Die Palmenberg lächelt. Ein schönes, friedfertiges, anteilnehmendes Lächeln, und Hendrikje sieht, wie hinreißend schön die
Palmenberg ist, ’ne richtige Königin, sie möchte sie am liebsten malen.
»Hendrikje, ist Ihnen klar, was für ein wahnsinniges Glück Sie hatten?«
»Ja, das ist mir klar. Das ist mir heute klar, mehr als damals. Denn dort, in Brunos Küche, da habe ich vor lauter Scham und
Peinlichkeit fast nicht geradeaus gucken können. Ich habe mich bedankt bei Bruno und wollte dann gleich wissen, wo meine Sachen
wären, denn ich wollte mich anziehen und gehen. Ich fand, er hatte weiß Gott genug für mich getan. Er sagte, meine Sachen
hingen im Bad zum Trocknen, aber er an meiner Stelle würde in
den
Sachen |112| und mit ’ner Lungenentzündung nicht rausgehen, und ich sollte mich mal ruhig erst auskurieren.
Ich merkte auch selbst, dass ich noch sehr schwach war, ich wurde nach der einen Tasse Bouillon gleich wieder müde. Bruno
versicherte mir, dass ich ihn wirklich nicht stören würde, und dann bin ich wieder zurück in das Bett und bin gleich wieder
eingeschlafen. In den folgenden Tagen hat Bruno mich bekocht, das war lieb, und er kann toll kochen. Er hat mir erzählt, dass
er Doktor der Philosophie ist, sein Geld aber mit Mathematik-Nachhilfestunden und Museumsführungen verdient. Ach Mensch, das
war richtig nett bei Bruno. Jeden Morgen hat er mir ein Frühstück gemacht, heißen Kakao und Croissants mit gesalzener Butter,
er hat mir eine Scholle gebraten mit selbst gemachtem Kartoffelpüree, und einmal gab’s Hühnchen mit Provencekräutern und Zitrone
und Tomatensalat. Ich hab nur gegessen und geschlafen, geschlafen und gegessen, und irgendwann merkte ich, dass ich total
gesund war.«
»Haben Sie Bruno erzählt, was passiert war?«
»Nein.«
»Nein? Warum nicht?«
»Weil ich mich so fürchterlich schämte, auch für die verschiedenen Versuche, mich umzubringen. Und hätte ich ihm etwa sagen
sollen: ›Du, dein Provence-Hühnchen ist echt lecker, ich hab übrigens gerade meinen besten Kumpel Holger ermordet …?‹ Ich
konnte das doch keinem erzählen, und wer weiß, wahrscheinlich wurde ich schon von der Polizei gesucht.«
»Wegen Holger.«
»Ja, das dachte ich. Wegen dem Meuchelmord an Holger.«
»Sie wissen, dass wir darüber unterschiedlicher Meinung sind.«
»Ja, weiß ich. Jedenfalls. Ich fühlte mich total gesund und |113| wusste, dass es nun mal an der Zeit wäre, Brunos Refugium auch wieder zu verlassen und raus ins feindliche Leben zu gehen.«
»Was wollten Sie denn da?«
»Na, zum Beispiel Rothwein Bescheid sagen, dass es mit der Ausstellung im März nichts werden würde.«
»Aber wo wollten Sie denn hin?«
»Das wusste ich noch nicht, es war mir nur klar, dass ich nicht für den Rest meines Lebens bei Bruno bleiben konnte, dem ich
so übel mitgespielt hatte und dem ich im Augenblick noch übler mitspielte, weil er nicht wusste, dass er einer Mörderin Unterschlupf
gewährte. Also habe ich ihm gesagt, dass ich jetzt gehen würde, wo ich doch nun wieder gesund wär. Dagegen konnte er nichts
mehr sagen und war so nett, mir warme Sachen von sich zu geben.«
»Sind das die Sachen, die Sie tragen?«
»Ja«, sagt Hendrikje und schaut an sich herunter, »solche Sachen trägt Bruno. Das sind seine Schuhe, sein Pulli, seine Cordhose.
Alles Brunos Sachen. Ich hab mich also noch mal bedankt bei Bruno, und er sagte, das ginge schon klar, und dann bin ich los,
raus ins feindliche Leben.
Zuerst bin ich tatsächlich in die Galerie Rothwein gegangen, die warm und groß und lichtdurchflutet war, und als Rothwein
aus seinen Katalogen hochguckte und mich erkannte, da lächelte er und sagte: ›Frau Schmidt! Das ist aber schön, kommen Sie
rein!‹
Er freute sich, mich zu sehen. Dann hab ich ihm gesagt, dass
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