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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Anziehsachen fielen heraus, und sie zischte
     gleich wieder ab mit dem leeren Rucksack und bat mich, unbedingt hier auf sie zu warten, sie hätte eine so schöne Überraschung
     für mich.
    Komischerweise glaubte ich ihr und ließ sie ziehen. Ich sollte in der Zwischenzeit aufpassen, dass keiner ihre Sachen klaut.
     Das hab ich gemacht, und als Paula wiederkam … also, so was Süßes hab ich selten erlebt. Sie hatte tatsächlich einen Farbenladen
     geplündert, wie weiß ich nicht, denn sie schleppte tatsächlich eine Grundausstattung für Maler an. Sie hatte drei verschiedene
     Pinsel geklaut, alle Grundfarben, |119| Acrylfarben in Tuben und eine Rolle Leinwand, eine relativ schmale Leinwand.
    Damit ich wieder neue Bilder malen könnte, sagte sie. Treuherzig wie ein Kind, und ab hier wusste ich, dass ich ihr nie wieder
     böse sein könnte. Ich musste echt ein bisschen heulen, und ich habe zu Paula gesagt: ›Das ist das schönste Geschenk, was du
     mir machen konntest.‹ Und sie strahlte mich an wie ein Honigkuchenpferd.
    Jetzt, was macht man mit einer schmalen Leinwand? Die nicht aufgezogen war. Ich brauchte was zum Pinselreinigen und was zum
     Aufziehen, und als Paula hörte, was mir fehlte, war sie gleich weg und kam mit Nägeln wieder. Wir haben die Leinwand an die
     Wand gespannt. Und zum Pinselreinigen hatte sie Feuerzeugbenzin geklaut.
    Und wieder die Frage: Was macht man mit einer schmalen Leinwand? Sie war vielleicht sechzig Zentimeter breit, das ist kein
     Format, auf dem ich je gemalt hatte, aber sie war so lang wie ich wollte. Dann wusste ich es: Ich habe einen kräftigen Männerarm
     von der Schulter an bis runter zu den Fingerspitzen skizziert und oben auf den Bizeps ein schönes, tätowiertes Segelschiff
     gemalt, einmal, wie es schlaff segelt, wenn der Arm locker runterhängt, und einmal, gleich daneben auf einem zweiten Stück
     Leinwand, mit vollen Segeln, wenn der Bizeps gespannt ist.
    Das hat Spaß gemacht und war eine knifflige Studie. Ich fand mich gut, ich fand besonders gut, wie ich die Tintenfarbe der
     Tätowierung hingekriegt hatte und wie die Haut an den tätowierten Stellen anders aussieht, nämlich gleichzeitig flächiger
     und poröser. Und dann fielen mir die vielen kleinen Details des Segelschiffs wieder ein, wo die Luken gewesen waren und wo
     der Anker und wo der Name gestanden hatte:
True Love
.
    Und kaum hatte ich es noch lange nicht fertig, aber so, |120| dass man es schon richtig gut erkennen konnte, da kiekste Paula ganz schrill und schrie: ›Mann, das kenn ich, das Segelschiff!
     Das ist meins! Das hat Dieter mir geschenkt!‹ Und ich drehte mich nach ihr um und hätte ihr dann doch recht gerne den Hals
     umgedreht.«

|121| 10
    »Als ich also merkte, dass Paula ein echtes Organisationstalent war, dachte ich, das könnte ich ein bisschen für mich nutzen,
     schließlich stand sie hoch in meiner Schuld. Es war klar, dass ich nicht in meine Wohnung gehen konnte, denn ich könnte zu
     jeder Zeit dort Ernst in die Arme laufen, der wahrscheinlich alle paar Stunden den Copyshop seinen Angestellten überließ,
     um schnell rüberzuhüpfen in meine Wohnung und seine Handwerker zu kontrollieren. Ich brauchte aber dringend ein paar warme
     Sachen, und Omis vor den Russen gerettetes Schmuckkästchen vor Lisa und Sophie zu retten, schien auch keine schlechte Idee
     zu sein.
    Also hab ich Paula gefragt, ob sie sich zutrauen würde, in die Wohnung zu gehen und ein paar nötige Sachen da rauszuholen.
     Klar, hat Paula gesagt, sie hätte schließlich was wieder gutzumachen, sie würde gehen, nur: Wie kommt sie rein in die Wohnung?
    Ich habe ihr gesagt, dass das wahrscheinlich gar kein Problem sein wird, weil da mittlerweile vermutlich ein Geschwader von
     Handwerkern am Arbeiten wär. Die Wohnungstür steht bestimmt immer offen – man weiß ja, wie Handwerker sind. Sie wollte wissen,
     was sie machen soll, wenn sie meinem Ex-Freund begegnen würde, und ich sagte ihr, dann soll sie so tun, als ob sie nur aus
     Neugier da mal reingeguckt hätte, und sofort weglaufen. Sie sollte auf keinen Fall sagen, |122| dass ich sie geschickt habe, ja nicht einmal, dass sie mich kennt. Und selbstverständlich nicht sagen, wo ich bin.
    ›Logisch‹, sagte Paula.
    Dann habe ich ihr erklärt, wie sie mein Schlafzimmer findet, wenn sie in die Wohnung reinkommt. Ganz einfach: links in den
     Flur und dann die erste Tür rechts. Da ist der große Schrank, da soll sie die warmen Anziehsachen in ihren Rucksack

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