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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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diesem Abend nichts anderes gemacht habe, als ›Nein‹ gesagt!«
    »Ja, im Angesicht des sehr nahen Todes. Das ist einfach.«
    »Und weil ich ›Nein‹ gesagt habe, hat es Holger erwischt! Holger könnte noch leben!«
    »Ja, wenn Sie Ihr Sorbet gegessen hätten!«
    »Sehen Sie!«, ruft Hendrikje. »Sie sehen das auch so! Ich habe mich nicht an eine Verabredung gehalten, und darum musste Holger
     sterben! Der Richter hat zwar später gesagt, Holgers Tod geht volle Kanne auf Ernsts Konto: Er hat das Metadon in das Sorbet
     getan und tatsächlich keinem was gesagt. Die anderen waren nicht eingeweiht, sie vertrauten ganz und gar auf Ernst und sein
     Versprechen, mich schmerzlos ins Jenseits zu befördern, aber stellen Sie sich das mal vor: Mit ein bisschen Pech hätte es
     genauso Sophie treffen können … Und wenn ich nicht diese fixe Idee gehabt hätte, sterben zu wollen, und dann plötzlich die
     fixe Idee,
nicht
mehr sterben zu wollen, dann würde Holger noch leben!«
    »Also, Sie glauben, Holger umgebracht zu haben«, stellt die Palmenberg fest.
    »Allerdings.«
    »Ich sag Ihnen was, Hendrikje: Holger hat sich selbst getötet. Er war bereit, Sie an Ihrem vermeintlichen Sterbeabend zu begleiten,
     obwohl er als Einziger die Idee richtig scheiße fand.
Ja, aber Hendrikje hat nicht mal eine unheilbare
Krankheit,
hat er gesagt.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Und trotzdem saß er dabei und schlug sich den Bauch mit Lammbraten und Champagnersorbet voll und machte |104| sich nur Sorgen um Lisas rostiges Fahrrad im Hof. Dämmert Ihnen da nichts?«
    »Nee.«
    »Ich sag Ihnen was, Hendrikje, aber das bleibt unter uns oder ich verliere meinen Job: Wer sich so benimmt, der gehört auch
     gestorben.«
    Fassungslos schaut Hendrikje die Palmenberg an. Es schießen ihr schmerzhaft dicke Tränen in die Augen. Sie sagt: »Nein!« und
     fängt laut und geschüttelt an zu heulen.
    »Nein! Nein!«, schreit sie der Palmenberg ins Gesicht, springt auf und geht zur Tür. Sie reißt die Tür auf und schreit von
     hier aus noch mal: »Nein! Nein! Nein!«
    Sie knallt die schwere Stahltür laut scheppernd zu und läuft den Gang aus grauem Waschbeton entlang und tritt gegen die Wände,
     tränennass und heult immer nur: »Nein!« und immer nur wieder: »Nein!«

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    Hendrikje humpelt in die nächste Stunde, denn sie hat sich den Fuß verstaucht, als sie nach der letzten Stunde gegen die Wände
     getreten hat. Sie lässt sich umständlich in ihren Sessel fallen und schmeißt der Palmenberg einen Blick zu, der klarstellt,
     dass sie dazu nicht befragt werden will.
    »Ich spring gleich rein. Holger lag tot am Boden. Er hatte keinen Puls mehr, und als Lisa ihm ihren Chanel-Puderdosen-Spiegel
     unter die Nase hielt, beschlug der nicht.
    Es war lange still, und dann stand Ernst vom Boden auf, wo wir alle um Holger herum gekniet hatten, und sagte zu mir: ›Da
     siehst du, was du angerichtet hast.‹ Sophie heulte und tauchte in Ernsts Armen unter, und Lisa warf mir einen Blick zu, von
     dem ich heute noch nicht weiß, warum
der
mich nicht getötet hat.
    Lisa überlegte, was nun zu tun sei. Holger hatte schließlich keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Andererseits würde ihn niemand
     so schnell vermissen, außer seinen Eltern vielleicht in der Lüneburger Heide. Darum untersuchte Lisa erst mal Holgers Handy,
     das sie in seiner Jackentasche fand, und erforschte die Liste seiner gespeicherten Nummern. Sie fand den Eintrag ›Mama‹ und
     rief die Nummer auf, und das war Gott sei Dank eine Handynummer, so dass man der Mutter eine SMS schicken konnte. Und das
     tat Lisa sofort. Sie schrieb – so als wäre sie Holger – er sei überraschend zu |106| einem Übersetzer-Kongress in Moskau eingeladen worden und würde mindestens 10 Tage fort sein.
    So hätten wir, meinte Lisa, ein bisschen Luft, um uns was einfallen und Holger zur Not in Russland verschütt gehen zu lassen.
     Lisa schickte die SMS ab, und nun stellte sich die Frage, wohin mit Holger, wenn wir schon 10 Tage Zeit hatten, uns was einfallen
     zu lassen.
    Tja, also, das hört sich jetzt nicht gut an, aber Ernst und Lisa plädierten irgendwann dafür, ihn in Lisas Gefrierkühltruhe
     im Keller zu legen – vorübergehend. Wir sind in den Flur, da hat Lisa einen Teppich zur Seite gerollt und die Bodenklappe
     darunter aufgeklappt. Von hier ging eine Stiege sehr, sehr steil in den Keller hinunter. Wir sind zuerst alle in den Keller
     geklettert, um die wirklich riesige Kühltruhe

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