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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ich wusste, dass ich wie ein Junkie aussah, blau gefroren und zerschrammt, und wenn man da nichts bestellt, fliegt
     man eh’ gleich raus, und mein restliches Geld war in meiner Jacke, die über dem Stuhl in Lisas Esszimmer in Schleswig-Holstein
     hing.
    Ich drückte mich also in der Wandelhalle ’rum und war plötzlich so erschöpft, dass ich mich an ein Schaufenster anlehnte |109| und merkte, ich schlafe gleich ein. Es war das Schaufenster eines Blumenladens und sofort kam die Blumenfrau raus und scheuchte
     mich weg, was wohl ein wenig Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zog, und so kam es, dass ein Typ, von dem ich gerade noch
     sah, dass er an einem Kiosk einen Stapel Tageszeitungen kaufte, das mitkriegte und auf mich zukam. Ich konnte schon fast nicht
     mehr gucken, ich glaube, ich stand kurz vor einer Bewusstlosigkeit, als der Typ auf mich zukam. Ich weiß noch, dass ich dachte:
     Das ist ja der Weihnachtsmann, denn er hatte einen Mörderbart im Gesicht und eine Felljacke an, so ’ne Alt-68er-Felljacke.
     Die hat er dann ausgezogen und mir um die Schultern gelegt, und da hab ich ihn plötzlich erkannt, es war nämlich«– Hendrikje
     stöhnt und wirft sich gequält in ihrem Sessel hin und her – »Bruno. Und dann war ich weg.«
    »Was heißt das, Sie waren weg?«
    »Ich weiß es nicht. Ab da kann ich mich erst mal an nichts mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich träumte, ich müsste
     im Café die Spülmaschine ausräumen: Ich stapelte die heißen Cappuccino-Untertassen übereinander, immer mehr und immer mehr.
     Es klapperte laut und schrill, und die Spülmaschine wird einfach nicht leerer. Immer mehr Cappuccino-Untertassen stehen in
     der Maschine, die ich immer schneller ausräumen muss, und ich verbrenne mich an dem heißen Porzellan. Ich türme Berge von
     Untertassen auf den Tresen, immer schneller, und der Lärm, den das macht, ist unerträglich.
    Irgendwann wachte ich auf. Ich lag in einem Bett, das nicht meins war, in einem fremden, sehr dunklen Zimmer. Da war ein Schrank,
     eine Kommode, ein Stuhl, und auf dem Schrank, auf der Kommode, auf dem Stuhl und auf dem Fußboden lagen Bücher in hohen Stapeln.
     Meine Anziehsachen konnte ich nirgendwo sehen, und als ich nachschaute, |110| hatte ich einen warmen Flanell-Schlafanzug an und unter dem meine eigene Unterwäsche, und in meinem BH steckte immer noch
     mein Abschiedsbrief.
    Ich dachte, ich hätte ihn beim Abendessen in Lisas Landhaus in den linken Busen gesteckt und fand ihn erst nicht, als ich
     danach tastete, aber dann war er doch da, er war im rechten Busen. Also verloren hatte ich ihn auf meiner Radtour durch den
     Norden offenbar nicht, und da war ich froh, dass dieses peinliche Schreiben jedenfalls in niemands Hände geraten war.
    Dann hörte ich aus dem Nebenzimmer leises Geklapper, das war wohl das Geräusch gewesen, das mich zu meinem Cappuccino-Untertassen-Traum
     inspiriert hatte. Ich bin aufgestanden, das ging ganz gut, und habe die Schiebetür aufgemacht, und da saß ein Mann mit dem
     Rücken zu mir vor einem Schreibtisch am Fenster und schrieb tatsächlich auf einer uralten Schreibmaschine, und links und rechts
     von ihm an den Wänden waren Regale bis zur Decke hoch und die waren voller Bücher. Der Mann drehte sich zu mir um, und richtig,
     es war Bruno. Der Mann, der mich am Hauptbahnhof aufgelesen hatte, ich hatte mich nicht getäuscht.«
    »Der doofe Bruno …«
    »Meine Güte, ja! Jetzt reiben Sie es mir doch bitte nicht so unter die Nase. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass mir das
     Lachen mit Bruno schon noch vergehen werden würde. Nicht so dito. Er grinste mich an. Und fragte mich, ob ich lieber heißen
     Kakao oder Bouillon wollte. Ich habe gesagt: ›Bouillon, bitte.‹ Und Bruno stand auf, holte von irgendwoher einen warmen Bademantel
     und Hausschuhe, das zog ich alles an, und dann sagte Bruno: ›Mitkommen!‹ Ich folgte ihm in die Küche, und er machte mir eine
     heiße Bouillon. Richtig gut war die, die war das, was meine Omi eine
Schöne
Klare Brühe
genannt hätte.
    |111| Bruno sagte, dass ich sehr hohes Fieber gehabt und drei Tage geschlafen hätte und dass in der Zwischenzeit ein Arzt hier gewesen
     wär, der mir eine Antibiotika-Spritze gegeben hätte, obwohl das ein Risiko gewesen wär, weil niemand wusste, ob ich darauf
     nicht vielleicht allergisch reagieren würde und ich hätte partout keine Antwort geben wollen. Er gab mir noch eine volle Packung
     mit Tabletten, die der Arzt für den Fall

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