Hengstgeflüster (German Edition)
Vorderbein in die Höhe hielt. Chris hatte sich neben die Stute gekniet und betastete vorsichtig ihr Fesselgelenk.
In drei Metern Entfernung ließ Bell Tangos lederne Zügel auf den Bogen fallen. „Steh“, befahl sie dem Hengst in einem Ton, der keinen Zweifel zuließ. Der senkte seinen Kopf und entspannte seinen Rücken.
„Was ist los?“ Sie rannte zu der Stute und fiel neben Chris auf die Knie.
„Sie ist wohl in eine Grube getreten.“ Er war besorgt. „Es scheint nur verstaucht, nicht gebrochen. Sie ist wohl ein kleines Prinzesschen.“ Er betastete ihr erhobenes Bein und Annie legte ihm ihr Näschen vertrauensvoll ins Genick.
„Warte hier.“ Bell sprang auf und kramte in Tangos Satteltaschen.
„Hier“, rief sie außer Atem und warf ihm eine weiße, elastische Stützbandage zu.
„Du bist meine Heldin“, sagte er, erleichtert, dass Bell so professionell an alles gedacht hatte.
Chris bandagierte Annies Fessel, sodass sie das Gelenk wenigstens leicht beugen konnte.
„Wie weit ist es noch bis Altopascio?“
„Zu weit. Das schaffen wir niemals mit Annies Bein. Wir müssen hier bleiben.“
„Sind wir denn aus dem Gefahrengebiet heraußen?“
„Wenn der Wind nicht dreht, dann schon, zumindest vorläufig.“
Als sie Oridolpho erreichten, blieb Bell mit den erschöpften Tieren mitten am leeren Marktplatz stehen.
Der große Brunnen plätscherte gemächlich. Bell beugte sich zum Wasser und roch daran. Es war kein Chlor darin und sie sah vereinzelt Goldfische.
Sie schnappte die Zügel der Pferde und führte sie zum Brunnen. Die beiden schmatzten begierig und schlürften das lauwarme Wasser viel zu schnell. Mühsam versuchte die junge Frau nach ein paar Minuten die Tiere vom Brunnen wegzuzerren, damit sie keine Kolik bekamen.
Annie war von Natur aus folgsamer als Tango. „Arrrgh…“, mühte sie sich ab. „Willst du dich wohl bewegen, du sturer Bock“, fluchte sie laut, „du wirst noch die Goldfische trockenlegen.“ Bell gab ihm einen Klaps auf den Hintern.
Chris war in die überfüllte Taverne gegangen um mit dem Gastwirt zu sprechen. Leute dieses Berufsstandes kannten jeden und wussten alles.
„Aah, il vecchio Mario ha una stalla, dove lei e il cavallo può dormire“, dröhnte der Wirt mit seinem beeindruckendem Organ, als Chris ihn fragte, ob es in diesem Ort eine Schlafmöglichkeit für zwei Personen mit zwei Pferden gab.
Der Wirt lachte schallend und schlug Chris auf die Schulter, dass er fast seine Zähne verschluckte. „Veloce, Mario, rapidamente. Il vostro ospite vuole essere sereno.“
Er deutete auf einen angeheiterten, bärtigen Riesen in der hinteren Ecke des Raumes, der entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlug, als er Lulu sah: „Mio dio, was für ein abscheulicher Hund.“
Schließlich hatten sich Chris und Mario einen viel zu hohen Preis ausgehandelt und der Beschwipste zeigte über den weitläufigen Marktplatz hinüber zu der kleinsten Hütte. Daneben befand sich ein Ziegenstall, ohne Ziegen, wie Mario versprochen hatte. Und es gab einen kleinen Brunnen im hinteren Garten. Mit Kübeln. Der Italiener hatte ein paar Kartoffeln und Rüben im Stall gelagert, von denen sie sich einige für die Pferde nehmen durften. Chris nahm Bell Annie ab und sie bezogen ihr Quartier.
19. Kapitel
Natalia Cox war stinksauer. Der alte Sturschädel musste einfach immer das letzte Wort haben. Wer glaubte er eigentlich, wer er war? Verbissen kaute sie auf ihrer Unterlippe. Keinen Streit anfangen, betete sie sich immer wieder vor. Lori lag über den gesamten Rücksitz von Chris Wagen ausgestreckt und schlief tief und fest. Sie hatte noch lange geweint, in der Angst, Chris und Bell könnte etwas zustoßen. Chrispin hatte sie hochgenommen und geschickt getröstet, bis sie auf seinem Schoß eingeschlummert war und er sie sachte nach hinten legte.
Stöhnend streckte er sein bis übers Knie eingegipstes Bein und schloss die Augen.
Natalia beobachtete ihn unverwandt. So viel Gefühl hatte sie ihm gar nicht zugetraut. Für Natalia war Chrispin seit jeher ein verschlossenes Buch. Für sie war gleich festgestanden, dass er Chris und Lori wie seine eigene Familie liebte und sie auch mit seinem Leben verteidigen würde. Warum nur war er so kalt und gefühllos, was Natalia betraf?
Sie konzentrierte sich auf den Straßenverkehr, als sie dichter besiedeltes Gebiet durchquerten. Immer wieder warf sie dem Mann neben ihr kurze Blicke zu. Chrispin hatte noch immer seine Augen geschlossen und
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