Hengstgeflüster (German Edition)
Vergangenheit und das Einstürzen seiner dicken Mauern bedeuten konnte. Jener Mauern, die er in jahrelanger mühevoller Arbeit um sein Herz errichtet hatte. Chrispin kam also nicht umhin, diese Vision als bedeutungsvolles Zeichen zu interpretieren. Verdammt noch mal, er hatte auch so schon genug Ärger am Hals.
Natalia kam mit einer aufgedrehten Lori über die Wiese geschlendert und registrierte sofort Chrispins sichtliche Veränderung. Dieser Mann war ein wandelndes Chaos. Kaum hatte sie sich auf eine seiner Launen eingestellt, verfiel er bereits in die nächste. Wie dem auch sei, es gab Neuigkeiten. Sie hielt ihm die heutige Tageszeitung unter die Nase. „Die Brände konnten gestoppt werden“, sagte sie und fügte etwas leiser hinzu, „hoffentlich wurde nicht allzu viel zerstört.“
Er nahm ihr die Zeitung aus der Hand, warf einen kurzen Blick darauf und fauchte brüskiert. Alles auf Italienisch.
„Das Feuer wurde durch den Wind den ganzen Monte Persecco hinauf getrieben, konnte jedoch vor Cascine di Buti von gestoppt werden.“
Sie sah verstört in sein Gesicht. „Die Ranch liegt etwas außerhalb, deswegen wissen wir nicht, was uns erwartet.“
„Fahren wir zurück?“
Sie nickte und schaute ihn bedrückt an. „Ich habe gerade mit meinem Cousin Adriano telefoniert. Chris und Bell sind nie bei ihm angekommen.“
Chrispin hielt betroffen inne. „Du machst Scherze…!“
„Wir brechen sofort auf. Die Fahrt dauert mindestens zwei Stunden.“ Sie durfte jetzt nicht Nachdenken. Nur Handeln.
Chrispin raffte sich auf und Natalia streckte ihm ihre Hände entgegen, um ihm aufzuhelfen. Ohne Zögern ergriff er sie. Er hatte seine Entscheidung getroffen.
„Stell dir vor, Chrispin“, erklang Loris glockenhelle Stimme und sie fasste ihn an der Hand, „ich habe vom Turm gespuckt und eine Taube getroffen.“
„Guter Schuss, Kleines“, antwortete er, krank vor Sorge.
Die Rückfahrt erfolgte in einvernehmlichem Schweigen. Jeder machte sich seine eigenen unheilvollen Gedanken über den Verbleib von Chris und Bell. Er spürte Natalias stilles Leid und legte seine Hand auf ihre. Verblüfft blickte sie Chrispin an, lächelte ihm dann aber scheu zu.
23. Kapitel
Am Morgen danach erwachte Bell mit schmerzenden Gliedern, nackt, aber liebevoll mit ihrem Shirt bedeckt und alleine. Erschrocken richtete sie sich auf.
„Chris?“ Lulu antwortete ihr mit einem leisen Jaulen. Bell versuchte, aufzustehen. „Heiliger Gott, ahhh … auweh!“, jammerte die junge Frau. Sie fühlte sich wie von einem Truck überfahren und außerdem …sie blickte sich um. Wo zum Teufel waren die Pferde?
Chris hatte sie doch nicht etwa in diesem Drecksloch sitzen gelassen, oder doch? Noch immer konnte sie anderen Menschen nicht völlig vertrauen. Innerlich glaubte sie zwar, diejenigen, die sie in letzter Zeit so lieb gewonnen hatte, würden sie nicht hintergehen, doch genau genommen wappnete sie sich noch immer bei jeder Ungewissheit vor dem Todesstoß.
Wie eine Marionette bewegte Bell ihre ferngesteuerten Glieder. Wenn sie in diesem Tempo weiterging, würde sie sich in die Hose pinkeln und zwar, bevor sie eine Toilette fand. Doch sie bezweifelte ohnehin, dass ein solcher Ort hier existierte.
Sie öffnete mit einem Finger die angelehnte Stalltür und wollte ihren Augen nicht trauen. Annie und Tango grasten. Sie knabberten, getrennt voneinander, an ein paar mickrigen Grashalmen. Annies Fessel war frisch bandagiert und darunter schien man irgendeine Pasta aufgetragen zu haben. Die Sonne gewann bereits an Kraft, aber die Hitze war hier nicht so erdrückend wie im Brandgebiet.
Schallendes Gelächter ertönte hinter der Scheune. Sie folgte dem Weg und war froh, dass sie Tetanus geimpft war.
„È vecchia canaglia“, wieherte ein beleibter Alter und klatschte seine Handfläche schallend auf seinen fetten Schenkel. „Penso che le vertigini.“
Er kratzte sich mit einer dreckigen Hand im rechten Nasenloch. Chris schien sich nicht daran zu stören. Er hob seine rechte Hand, in der er eine Reihe Karten hielt, und schien angestrengt zu überlegen. Chris´ Hand umfasste eine Flasche Bier. Er nahm einen Zug und rülpste lauthals.
Jaaa, dachte Bell, hier konnte ein Mann noch richtig Mann sein.
Sie räusperte sich geräuschvoll. Chris schaute betroffen drein und erhob sich rasch von dem umgedrehten Eimer, auf dem er saß. Er ließ seinen Gastgeber sitzen, der gerade damit beschäftigt war, sich ausgiebig im Schritt zu kratzen.
„Du hast
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