Hengstgeflüster (German Edition)
an die Dinge heranzugehen. Seine geduldige Miene beim Training der Pferde. Ja, sie liebte es, wenn zwischen ihnen die Fetzen flogen und Chris, gleichsam Natalia, so temperamentvoll um jene Sachen kämpfte, die ihm am Herzen lagen. Noch nie hatte sie sich so vorbehaltlos gehen lassen und noch nie hatte ein Mensch Bell so ohne weiteres akzeptiert. Sie hatte sich noch nie so gefordert und unterstützt gefühlt, noch nie so gebraucht und verstanden.
Sie liebte es, wenn Chris seinen Kopf zurückwarf und in schallendes Gelächter ausbrach. Wie in seinen azurblauen Augen der Schalk aufblitzte, wenn er etwas ausheckte und wie sich sein Blick verdunkelte, wenn sie sich liebten. Seinen gestählten Körper und seine sanfte Zärtlichkeit, wenn er sie berührte. Aber war sie deshalb in ihn verliebt? Es war einfach alles zu viel für sie. Ja, Bell war sich sicher, wenn er ihrer überdrüssig wäre, säße sie wieder ganz allein auf der Straße. Nein, ganz allein wohl nicht, dachte sie mit einem Seitenblick auf Lulu und kraulte das schmutzige Flittchen, das gerade alle vier Beine von sich streckte und sich vor Bell räkelte.
Sie wollte nicht aus einem Impuls heraus schon an Liebe denken. Es war einfach alles zu herrlich neu und zu aufregend, um sich über solch gewichtige Gefühle klar zu werden. Zu verwirrend.
Von Toni, dem gesprächigen Dorfwirt, erfuhr Bell bruchstückhaft, dass die Brände erloschen waren, bevor diese die Dörfer erreicht hatten. Der Schaden war trotzdem beträchtlich, da das Feuer sorgsam gepflanzte Weingärten und Olivenplantagen zerstört hatte. Bell hatte Mitleid mit den armen Bauern, die die Ernte eines gesamten Jahres verloren hatten. Sie fragte sich, ob die Ranch verschont geblieben war, mit der sie trotz der kurzen Zeit ihrer Anwesenheit schon so viele schöne Erinnerungen verband.
Sie musste Chris die Nachricht überbringen. Zügig marschierte sie zurück und unterdrückte das Schaudern, als sie tonnenweise Müllsäcke in Marios Innenhof passierte.
Noch immer lärmten die Männer auf dem Tischchen und als Bell um die Ecke in den Garten blickte, sah sie ein ganzes Arsenal leerer Bierflaschen am Boden liegen.
„Le donne sono le donne! Come può un uomo solo vivere con loro?“, vernahm sie Chris, der tief schürfende Lebensweisheiten an seinen Gegenüber weitergab.
Nein! Das durfte doch nicht wahr sein. Kaum war sie für ein paar Stunden aus dem Haus, lief hier alles aus dem Ruder.
Die zwei besoffenen Mannsbilder schwankten gefährlich, wobei Chris in weitaus schlechterem Zustand zu sein schien als Mario, der seine Hand schon wieder tief in seinem Schritt vergraben hatte. Zorn wallte in Bell auf. Wie lange musste sie noch in diesem Drecksloch verbringen, bis sie endlich aufbrechen konnten? Es würde noch Stunden dauern, bis Chris seinen Rausch ausgeschlafen hatte.
Nichts da, beschloss Bell, schlenderte zu Tango hinüber und kraulte ihn liebevoll zwischen den Ohren. Sie würde die Sache jetzt selber in die Hand nehmen. Entschlossen begab sie sich zu Toni in die Dorfkneipe…
Ein ausrangierter Pferdeanhänger näherte sich rumpelnd Marios Einfahrt und kam schlussendlich knarrend und polternd zum Stillstand. Adriano, anscheinend Chris´ Onkel, sprang dynamisch hinter dem Lenkrad hervor, drückte Bell überschwänglich an seine Brust und presste ihr die Luft aus den Lungen.
„Aaaah, bella donna, Willkommen in der Familie. Natalia sich große Sorgen machen!“, dröhnte er in gebrochenem Amerikanisch, und dann: „Keine Sorge, Adriano sich um alles gekümmert, hat sich geborgen tollen Anhänger von Nachbar zur Rettung von euch.“
Bell atmete erleichtert auf. Er zwängte sich ihre zarten Schultern unter seine Achseln und hielt sie wie ein Schraubstock darin gefangen.
„Danke, dass Sie so schnell gekommen sind“, sagte sie zögernd, „bitte, die Stute ist verletzt und Chris, tja…“, meinte Bell und deutete mit einem Nicken auf die mittlerweile schnarchenden Männer. „Sehn´ Sie selbst…!“
„Dio mio!“ Betroffen schlug Adriano seine Hand vor den Mund. „Männer, die trinken, haben große Sorgen! Was du gemacht mit unsere Junge?“
Sie zuckte ratlos mit den Schultern. Sie luden die lahmende Annie vorsichtig in den Anhänger und Bell betete, dass diese den Transport unbeschadet überstehen würde.
„Aaaahhh, grave giovane!“, stöhnte Adriano, der den schnarchenden Chris wie einen nassen Sack auf seine Schultern stemmte und auf den Rücksitz des Wagens verfrachtete.
„Bella, du
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