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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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uns freundlichst mitzuteilen, wie wir mit dem Mörder verfahren sollen.
    Euer ergebenster Diener, Friedhold Widmer, Richter der Reichsstadt Ulm.«
    Es kam nicht häufig vor, dass Konrad Sempach die Worte fehlten. Wenn er schwieg, dann zumeist aus gutem Grund. Doch dies war einer der Augenblicke, in dem seine Gedanken schneller rasten, als seine Lippen sich hätten bewegen können. Der Weinhändler war unschuldig. Jesus, Maria und Josef! Das brachte den Esslinger Rat in eine äußerst unangenehme Lage. Zudem hatte man den wahren Täter nicht etwa selbst entlarvt. Nein, eine andere Reichsstadt hatte ihnen dabei unter die Arme greifen müssen. Was für eine Demütigung! Und zu allem Überfluss besaß Esslingen im Augenblick nicht einmal einen Henker, um den Mörder wenigstens selbst hinrichten zu lassen. Doch warum hatte der Schultheiß nicht den Rat einberufen?
    »Ihr seht, wir sind in einer mehr als misslichen Lage«, sagte Johann Remser. Sein Kopf glühte, und Sempach kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er kurz davor stand, die Fassung zu verlieren.
    »In der Tat«, bestätigte er.
    »Wir wollen es uns weder mit Graf Ulrich noch mit den Reutlingern verscherzen, das seht Ihr doch wohl genauso, Sempach?« Remser kniff die Augen zusammen.
    »Es wäre unklug und gefährlich, zum jetzigen Zeitpunkt einen so mächtigen Gegner zu verärgern«, bestätigte Sempach vorsichtig. Wenn er doch nur wüsste, worauf dieser Taktierer Remser aus war! Es war etwas Unangenehmes, so viel stand fest, und Remser wollte es auf ihn abwälzen.
    »Ich habe mich mit meinem Freund Enders beraten«, sagte Remser mit einem Seitenblick auf von den Fildern. »Es gibt nur eine Möglichkeit. Wir müssen uns bei dem Reutlinger für den Irrtum entschuldigen.« Er hielt inne, musterte seine Fingerspitzen. »Allerdings halte ich es für wenig sinnvoll, den gesamten Esslinger Rat als einen Haufen Einfaltspinsel hinzustellen, das wäre wohl kaum von Nutzen für das Ansehen unserer schönen Stadt. Es würde einen weitaus besseren Eindruck machen, wenn wir den Fall so darstellen könnten, als sei ein Einzelner unbedacht vorgeprescht.«
    Konrad Sempach brach der Schweiß aus. Es war nicht viel Kombinationsgabe vonnöten, um zu ahnen, worauf das hinauslief. Er, Konrad Sempach, sollte die Verantwortung für die missliche Lage des Stadtrats übernehmen, sollte seinen Kopf hinhalten und sich vor aller Welt lächerlich machen.
    »Nun, Sempach«, sprach Remser weiter, »da Ihr üblicherweise den peinlichen Befragungen von Missetätern beiwohnt und den engsten Kontakt zu Melchior pflegtet, ist es nur naheliegend, dass Ihr diese Aufgabe übernehmt, findet Ihr nicht? Oder sollten wir uns noch in andere Richtungen Gedanken machen?«
    Sempach kochte vor Wut. Was bildete dieser Esel sich ein? Was sollte diese Andeutung, er habe den engsten Kontakt zu Melchior gepflegt? In was für andere Richtungen wollte er sich Gedanken machen? Unterstellte er ihm etwa, mit dem Ketzer unter einer Decke zu stecken? »Wie genau stellt Ihr Euch das vor?«, presste er heraus.
    Ein erleichtertes Lächeln huschte über Remsers Gesicht, offenbar hatte er mit Widerstand gerechnet. Er warf einen raschen Blick zu Enders von den Fildern, winkte dann einer Magd zu, die ihm sofort ein Brett mit Bierkrügen vorhielt. Er griff sich einen, Enders ebenfalls, und beide nahmen einen tiefen Zug.
    »Ganz einfach«, sagte Remser, nachdem er sich den Mund abgewischt hatte. »Ihr verfasst ein kleines Schreiben an Wendel Füger, seine Familie und den Rat der Stadt Reutlingen. Darin legte Ihr Eure Übereifrigkeit in dem Fall dar. Schreibt, dass Ihr so beseelt davon gewesen wäret, die gemeine Tat an dem armen Kerl zu sühnen und den Meuchelmörder unverzüglich seiner gerechten Strafe zuzuführen, dass Ihr wichtige Hinweise auf dessen wahre Identität übersehen hättet. Den Rat der Stadt Esslingen hättet Ihr so eloquent von Eurer Sichtweise überzeugt, dass diesem gar nichts anderes übrig geblieben wäre, als Eurem Urteil zu folgen. Betont Euer Bedauern, und entschuldigt Euch in aller Form für die Unannehmlichkeiten, die aus Eurem Verhalten erwachsen seien. Am Schluss könnt Ihr noch darauf hinweisen, dass der Rat der Reichsstadt Esslingen unter den gegebenen Umständen selbstverständlich darauf verzichtet, Wendel Füger wegen der Flucht aus dem Kerker zu belangen.« Remser rieb sich die Hände. »Morgen früh tragt Ihr das Schreiben vor. Wenn es die Billigung aller Ratsherren findet, soll es sogleich

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