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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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so gewählt, hätte ihn der Verdacht beschlichen, sie litte unter Schwachsinnigkeit. Doch vermutlich war ihr einfach jegliche Eigenständigkeit aberzogen worden. Das mochte sie für die meisten Männer zur idealen Gemahlin machen, jedoch nicht für ihn. Auch wenn das Leben ihn ernüchtert und klüger gemacht hatte, auch wenn er nicht mehr der Träumer war, als der er Reutlingen vor sechs Wochen verlassen hatte, eins hatte sich nicht geändert. Er wünschte sich eine Gemahlin, die er glühend lieben konnte, nicht nur, weil ihre körperlichen Reize sein Feuer entfachten, sondern auch, weil ihr Geist neugierig und wach war.
    Wendel humpelte aus dem Haus. Die Sonne stand bereits dicht über den Hügeln, doch es würde noch eine Weile dauern, bis sie unterging. Ihm war nach Gesellschaft, nach ein wenig Zerstreuung. Seit er wieder genesen war, hatte er es erst zweimal geschafft, auf ein paar Becher Wein ins Wirtshaus zu gehen, und das auch nur gegen den erbitterten Widerstand seines Vaters.
    »Antonius«, sagte er zu seinem Leibwächter, der ihm nach draußen gefolgt war. »Ich möchte auf ein paar Becher Wein in ›Die drei Eichen‹. Für heute ist die Arbeit getan. Ich schließe nur noch alles ab.«
    »Euer Vater wird es nicht gern sehen, wenn Ihr abends noch das Haus verlasst«, wandte Antonius ein.
    Wendel wies mit der Hand in den Himmel und auf die umliegenden Häuser. »Sieh dich um, Antonius. Es ist taghell. Die Straßen von Reutlingen sind voller freundlicher, friedfertiger Menschen. Vater kann mich nicht für den Rest meiner Tage einsperren.«
    Antonius hob die Schultern. »Wie Ihr meint, Wendel.«
    Gerade als Wendel das Tor zum Hof verschloss, kam sein Vater aus dem Haus. »Du machst Schluss für heute?«
    »Ja, Vater. Alles, was du mir aufgetragen hast, ist erledigt. Die Rechnungen für die Wirte sind geschrieben. Die Lieferung nach Tübingen, die morgen auf den Weg gebracht werden soll, ist vorbereitet. Ich habe sogar die fehlerhaften Forderungen unserer Lieferanten korrigiert. Jetzt gehe ich noch auf ein paar Becher Wein in ›Die drei Eichen‹.«
    Erhard Füger runzelte die Stirn. »Du weißt, dass ich es nicht gern sehe, wenn du abends das Haus verlässt«, sagte er. »Solange wir nicht wissen, weshalb der Graf es auf dich abgesehen hat, ist nicht auszuschließen, dass er erneut versucht, dir eine Falle zu stellen.«
    Wendel winkte ab. Je mehr die Erinnerung an den Kerker von Esslingen verblasste, desto eher war er bereit, an einen Zufall zu glauben. Sein Verdacht gegenüber Ottmar de Bruce kam ihm inzwischen übereilt vor. Nur weil er sein Messer vermutlich auf dessen Brautschau verloren hatte, hieß das nicht, dass der Graf versucht hatte, ihm einen Mord in die Schuhe zu schieben. Auch war ihm nichts eingefallen, womit er sich de Bruce’ Zorn hätte zuziehen können. Nur ein einziger Moment war ihm in Erinnerung, in dem sich die Miene des Grafen kurz verfinstert hatte, in dem es so ausgesehen hatte, als wolle dieser sich auf ihn stürzen. Doch wenig später hatte de Bruce bereits wieder grölend gelacht. Blieb noch die Gedächtnislücke, die Wendel nicht füllen konnte, doch auch die beunruhigte ihn nicht mehr. Er war in Sicherheit, seine Unschuld bewiesen, was wollte er mehr?
    »Ich bin vor Einbruch der Dunkelheit zurück, Vater«, sagte er beschwichtigend. »Außerdem habe ich Antonius dabei.«
    Nachdem sein Vater brummelnd wieder im Haus verschwunden war, brachen Wendel und Antonius auf. Viele Menschen, denen sie in den Gassen von Reutlingen begegneten, grüßten Wendel mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Neugier. Seit sich herumgesprochen hatte, dass er die Folter überlebt hatte und aus dem Kerker geflohen war, genoss er den Ruhm eines Kriegshelden, was ihn mit einer Mischung aus Stolz und Scham erfüllte.
    Sie überquerten den Marktplatz und gingen durch die Metmannsgasse auf das Metmannstor zu. Kurz vor dem Tor bogen sie in eine schmalere Gasse ab. Sie waren jetzt im Viertel der Gerber, nicht eben die feinste Gegend der stolzen Reichsstadt.
    Antonius blickte sich ständig unruhig um, doch von den dunklen Gestalten, die sie eng an die Hauswände gedrückt passierten, zeigte niemand Interesse an ihnen. Endlich erreichten sie »Die drei Eichen«. Die Stube war bereits gut mit Gästen gefüllt. An einem Tisch am Fenster entdeckte Wendel seine Freunde. Er winkte ihnen zu und kämpfte sich durch das Gewühl. Als er den Tisch erreichte, hatten sie bereits zwei weitere Becher geordert und rückten

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