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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Ulmer Scharfrichter sah nicht so aus, als würde er seinen Schutzbefohlenen freiwillig den Tod erleichtern.
    Einer der Henkersknechte nahm ein großes Wagenrad vom Boden und reichte es dem Henker. Ein ehrfurchtsvolles Raunen ging durch die Menge, als der Mann sich breitbeinig über den Verurteilten stellte und das Rad mit beiden Händen hoch in die Luft hielt. Plötzlich war es ganz still auf dem Richtplatz. Der Henker ließ das Rad auf die Füße des Verurteilten krachen, ein gellender Schrei entfuhr Brechts Mund, ein vielstimmiges »Oh« hallte durch das Neckartal.
    Wieder schlug der Henker zu, diesmal auf Höhe der Schienbeine. Fünfzehn Schläge hatte der Richter angeordnet, einen für jedes Lebensjahr des getöteten Jungen. Zuerst schrie der Mörder gellend, doch nach dem achten Schlag wurde er leiser, bis er schließlich nur noch wimmerte. Dafür schwoll das Grölen der Menge immer weiter an.
    Als der Henker für den letzten Schlag den Hals erreichte, wurde es noch einmal still. Es war seiner Entscheidung überlassen, Gnade walten zu lassen und der Qual des Delinquenten mit einem gezielten Hieb ein Ende zu bereiten. Doch der Ulmer schlug das Rad nicht auf den Hals, sondern ein Stück tiefer auf Schultern und Schlüsselbeine. Simon Brecht röchelte tonlos, seine Glieder zuckten unkontrolliert.
    Der Henker reichte einem der Knechte das Rad und straffte den Rücken. Sogar von der Tribüne aus konnte man erkennen, wie sich sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte. Die Anstrengung hatte ihn aus der Puste gebracht.
    Sempach überlegte, wie Melchior diese Aufgabe wohl gemeistert hätte. Solange er das Amt bekleidet hatte, war leider niemand zum Tod durch das Rad verurteilt worden. Zu gerne hätte Sempach dabei zugesehen, wie sich der schmächtige Rotschopf mit dem riesigen Wagenrad abmühte.
    Der Ulmer hatte inzwischen veranlasst, dass Brecht losgebunden wurde. Ein zweites Wagenrad wurde angereicht, und die Knechte hievten den Verletzten darauf. Der hatte vermutlich keinen einzigen heilen Knochen mehr im Leibe, lebte aber noch.
    Die Knechte flochten die gebrochenen Gliedmaßen des Mannes so zwischen die Speichen, dass sie kein Seil mehr brauchten, um ihn festzubinden. Schließlich hoben sie das Rad auf einen Wink des Henkers an und hievten es auf einen senkrecht aufgestellten Birkenstamm.
    Die Zuschauer applaudierten, der Scharfrichter warf sich in die Brust, er hatte saubere Arbeit abgeliefert. Den Rest würden die Raben erledigen.
    Brecht war inzwischen bewusstlos. Wenn der Herr ihm gnädig war, würde er nicht wieder erwachen, doch Sempach hielt das nicht für wahrscheinlich. Oft dauerte es Tage, bis der Tod den Verurteilten erlöste. Der Scharfrichter verstand etwas von seinem Handwerk. Simon Brecht würde noch lange leiden.
    Sempach grunzte zufrieden. Der Ulmer war ein Mann nach seinem Geschmack. Zu schade, dass man ihn zurück in seine Heimatstadt schicken musste.
***
    Eberhard von Säckingen erhob sich. Seine Leute kauerten auf Baumstümpfen oder lehnten an Stämmen. Sie hatten die Waffen griffbereit neben sich gestellt und kauten auf getrocknetem Fleisch herum, dem Rest des Vorrates, den er vor einer gefühlten Ewigkeit in Urach eingekauft hatte. Seither waren sie in den Wäldern umhergeirrt, waren ständig auf Dietrichs Spur geblieben, aber er war ihnen immer einen Schritt voraus gewesen.
    Jetzt war es so weit. Verstärkung war eingetroffen, Männer und Hunde. Gemeinsam hatten sie die Beute eingekreist und langsam, aber sicher in die Nähe der Lichtung getrieben. Noch saß Dietrich im Dickicht und glaubte wahrscheinlich, entwischen zu können. Von Säckingen hatte ihm zugerufen, er solle herauskommen, dann würde er seine gerechte Strafe erhalten und nicht unnötig gequält werden. Dietrich jedoch war stumm geblieben. Mit einem einfachen Handzeichen hätte von Säckingen dafür sorgen können, dass der Fuchs aus seinem Bau getrieben und abgeschossen wurde wie ein Hase. Die Bogenschützen standen bereit. Doch er zog einen fairen Zweikampf vor.
    Er bedeutete seinen Männern zu warten, bog die Zweige behutsam zur Seite und zwängte sich ins Unterholz. Nach wenigen Schritten wurde das Gestrüpp lichter, hohe Buchenstämme ragten vor ihm auf. Von Säckingen griff an den Knauf seines Schwerts und hielt den Atem an. Die Gegenwart seines Gegners war mit den Händen zu greifen.
    »Verflucht, Dietrich Vulpes, stellt Euch!«, rief er, während er seinen Blick aufmerksam über den mit einer dicken Laubschicht bedeckten

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