Henkerin
trugen ihre beste Tracht, denn niemand musste heute arbeiten. Es war Jacobi, der 25. Julius, und heute war Bürgermeisterwahl.
Erwartungsvoll blickten die Menschen immer wieder die Judengasse hinauf in Richtung Marktplatz. Von hier aus sollte der Zug bis zum Barfüßerkloster ziehen, in dessen Hof der Bürgermeister und der frischgewählte Rat den feierlichen Amtseid schwören würden. Der Rat bestand aus zwölf ehrenwerten Richtern, die aus den vornehmsten Familien der Stadt stammten und aus den Meistern der acht Zünfte.
Auch Erhard Füger zählte zu den Männern, die im Festzug ganz vorn schreiten würden. Zum dritten Mal schon war er in diesem Jahr zum Zunftmeister der Karcher gewählt worden. Stolz würde er die Fahne mit den Zunftzeichen tragen, einem Wagenrad und einem Krug. Hinter ihm würden die anderen Mitglieder der Karcherzunft schreiten, gefolgt von den übrigen Zünften, den Weingärtnern, Bäckern, Küfern, Metzgern, Kürschnern, Schustern und Gerbern.
Wendel ging in diesem Jahr nicht mit im Zug. Gemeinsam mit Antonius beobachtete er das Geschehen vom Eingang seines Hauses aus, das dem Barfüßerkloster schräg gegenüberlag. Sein Vater hatte ihm strengstens verboten, sich von dort zu entfernen, denn er fürchtete einen erneuten Anschlag. Offiziell hieß es zwar, Wendel und Antonius seien von zwei Räubern überfallen worden, doch weder Wendel noch sein Vater zweifelten daran, wer tatsächlich hinter dem Anschlag steckte. Und ein Tag wie dieser wäre ideal für einen Meuchelmord. Im Gedränge könnte der Mörder sein Verbrechen verüben und sich entfernen, ohne Entdeckung zu fürchten. Und Wendel durfte nicht darauf hoffen, noch einmal so viel Glück zu haben.
Auch wenn es ihm widerstrebte, sich von seinem Vater wie ein kleiner Junge zu Hause einsperren zu lassen, musste er zugeben, dass er bei dem Überfall tatsächlich nur um Haaresbreite dem Tod entronnen war. Als er das Bewusstsein verlor, hatte Antonius den einen Angreifer zum Glück gerade überwältigt. Er sprang noch eben rechtzeitig herbei, um den Hieb von Wendels Gegner abzuwehren. Dieser leistete nur noch kurz Widerstand. Wendel war wieder zu sich gekommen, bevor jemand anderes hinzukam, aber weil beide Angreifer im Kampf gestorben waren, hatten er und Antonius keine Möglichkeit gehabt herauszufinden, wer hinter dem Angriff steckte.
Ein Gutes zumindest hatte der Vorfall gehabt. Für Erhard Füger hatte Antonius damit bewiesen, dass er in der Lage war, Wendel zu schützen.
»Sie kommen! Sie kommen!«, rief eins der Kinder, das hoch auf den Schultern seines Vaters saß.
Musik und Jubel drangen vom Marktplatz her. Zuerst sah Wendel über die Köpfe der anderen hinweg nur die Fahnen und Wappenschilde der Zünfte, dann, als die Menge ehrfurchtsvoll zur Seite trat, erkannte er die Gesichter. Vorneweg schritt im prächtigen tiefroten Surcot und blank gewichsten schwarzen Stiefeln Walther von Hayingen, der frischgewählte Bürgermeister der Stadt. Ihm folgten die Ratsherren.
Wendel erkannte die Oberhäupter der Patrizierfamilien: Volker Ammann, dem sein Vater im letzten Jahr das Ammändle abgekauft hatte, Bentz Gumpper, dessen Söhne ihrem Vater nichts als Ärger machten, den ehrwürdigen Greis Eberhard von Hansen, Heinrich Löterli von Wildenowe und Conrad Ungelter, dessen Vater selbst vor Jahren Bürgermeister gewesen war.
Wendel hatte mit diesen vornehmen Herrschaften wenig zu tun. Wie er selbst stammten auch die meisten seiner Freunde aus der Handwerkerschaft. Viele von ihnen waren Huser, Weingärtner, die wie ihre Väter in den Füger’schen Weinbergen arbeiteten.
Die Handwerker bogen hinter den Richtern in den Klosterhof ein. Wendel reckte den Hals, doch von der Zeremonie bekam er aus dieser Entfernung nicht viel mit. Wie ärgerlich! Später würden sie zum Tanz aufspielen, auf dem Marktplatz war bereits das große Festzelt aufgebaut, doch auch dort durfte er sich nicht blicken lassen. Er seufzte. Es wäre sein letzter Jacobitanz als unverheirateter Jüngling gewesen.
Als hätten sich seine Gedanken zu einer Gestalt verfestigt, stand plötzlich eine junge Frau mit langem hellblonden Haar und strahlend blauen Augen vor ihm. Engellin, seine Verlobte. Wie alle Jungfrauen trug sie zur Feier des Tages einen Kranz aus Blumen auf dem Haupt. Schüchtern lächelte sie ihn an.
»Engellin, was macht Ihr denn hier?«, fragte er verwirrt.
»Ich sehe mir den Zug an.« Sie runzelte die Stirn.
»Bitte verzeiht meinen rüden Tonfall, liebe
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