Henkerin
heute Abend, wenn sie ihre Arbeit verrichtet hatte, würde sie mit dem Nähen beginnen.
***
Die Tafel war üppig gedeckt. Dutzende Kerzen flackerten in silbernen Leuchtern, bunte Kugeln aus Glas, die auf die seidenbestickten Tischtücher ausgestreut waren, reflektierten das Licht in alle Richtungen. Musikanten spielten auf, ließen die hellen Klänge der Schalmeien und den dunklen Rhythmus der Bodhran im Festsaal des Schlosses erschallen. Diener hatten die ersten Gänge aufgetragen, nun brachten sie Pfauen auf silbernen Platten herein. Die Tiere waren nach der Zubereitung wieder mit ihrem Federkleid geschmückt worden, sodass ihre Körper königsblau schillerten und die Augen der zum Rad aufgestellten Schwanzfedern die Gäste zu beobachten schienen.
Graf Ulrich III., der Herrscher von Württemberg, erhob sich, und augenblicklich wurde es still. Auch die Musikanten legten die Instrumente zur Seite.
»Verehrte Grafen und Edelleute, liebe Freunde«, begann er. »Lasst mich einen Trinkspruch ausbringen auf das wunderbare Gelingen unserer Versammlung. Wir haben hart verhandelt und gestritten, doch wir sind zu guten Ergebnissen gekommen. Württemberg darf sich stolz wähnen, von solchen Männern regiert zu werden. Ich danke Euch für Eure Treue!« Er erhob den Pokal, in dem rubinroter Wein funkelte.
Die Männer im Saal taten es ihm gleich.
»Auf unseren Fürsten, Graf Ulrich!«, rief ein korpulenter Mann mit mausgrauem Haar.
»Auf unseren Fürsten! Auf Ulrich!«, fielen die anderen ein.
Ulrich verneigte sich zum Dank und ließ sich auf seinen mit rotem Samt gepolsterten Stuhl fallen. Die Musik setzte wieder ein, ebenso rasch wie das Stimmengewirr angeregter Unterhaltung.
»Und Ihr wollt mich wirklich verlassen, werter Freund?« Ulrich wandte sich an seinen Tischnachbarn.
Der Mann mit dem mausgrauen Haar, Burkhard von Melchingen, ein enger Vertrauter und Freund des Fürsten, hob entschuldigend die Schultern. »Die Christenpflicht ruft. Schon lange will ich zu einer Pilgerreise aufbrechen. Wenn ich es nicht bald wage, bin ich zu alt und halte die Strapazen der Reise nicht mehr durch.«
»Mein lieber Burkhard, wem sagt Ihr das?« Ulrich seufzte. »Wir werden alle nicht jünger. Ich stehe selbst kurz vor dem vierzigsten Lebensjahr. Und wer weiß, wie viele der Herr mir noch gewähren wird.«
»Dann lasst uns von angenehmeren Dingen sprechen. Ich habe gehört, Ihr habt Aussicht auf weitere Erwerbungen im Elsass. Wie steht es damit?«
Ulrich lächelte. »Gut steht es. Doch verhaltet Euch still, noch sind die Verträge nicht ausgehandelt.«
Burkhard nickte verschwörerisch. »Ich werde schweigen wie ein Grab.«
»Ich verlasse mich auf Euch.« Sein Blick glitt zu Ottmar de Bruce, der mit finsterer Miene auf einer Pastete kaute. »Was haltet Ihr von ihm?«
»De Bruce?« Von Melchingen musterte den Grafen. »Ich weiß nicht recht. Wenn man den Gerüchten glauben soll, hat er mehr auf dem Kerbholz als der Teufel. Doch nachgewiesen wurde ihm nie etwas. Vielleicht ist es nur sein düsteres Äußeres, das die Leute verunsichert. Außerdem ist er nicht immer so übellaunig. Ich habe mir sagen lassen, dass er glanzvoll zu feiern versteht. Anlässlich seiner Hochzeit soll es mächtig zur Sache gegangen sein.«
»Traut Ihr ihm?«
»Er ist Euch ein treuer Vasall, Ulrich. Davon bin ich überzeugt.« Burkhard dachte nach. »Aber das Leben meiner Söhne würde ich nicht in seine Hände legen.«
Ulrich nickte. »Ich ebenso wenig. Doch das trifft auf die meisten Herren hier im Saal zu.« Er grinste. »Euch ausgenommen natürlich, geschätzter Burkhard.«
Mehr Gänge wurden aufgetragen, Fleisch, Fisch, köstliche, fantasievoll dekorierte Süßspeisen. Mehr Wein wurde getrunken, die Gespräche wurden ausgelassen, die Stimmung gelöst.
Ottmar de Bruce zog sich als einer der Ersten kurz nach Mitternacht in seine Schlafgemächer zurück. Ulrich sah ihm nachdenklich hinterher. Er beschloss, ein Auge auf diesen undurchsichtigen Mann zu haben. Man wusste ja nie.
***
Melisande zuckte zusammen und ließ beinahe den Krug fallen, mit dem sie ihre Waschschüssel mit frischem Wasser aufgefüllt hatte. Jemand klopfte an die Tür, als wollte er das ganze Gebäude zum Einsturz bringen. Weder Ida noch Hermann pflegten so energisch um Einlass zu bitten.
»Wer da?«, rief sie und gab sich Mühe, ihre Stimme fest klingen zu lassen.
Geschwind stellte sie den Krug ab und öffnete die Tür. Vor ihr stand ein Bursche, ein wenig jünger als sie
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