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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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»Es kann sein, dass es etwas wehtut.«
    Lea gab keine Antwort, stöhnte nur leise. Vielleicht verstand sie nicht, was Melisande sagte.
    Melisande schob ihre Hand weiter. Lea schrie auf vor Schmerzen, die Mägde wurden bleich, aber Melisande versuchte, nicht auf sie zu achten, nicht daran zu denken, in welch gefährlicher Lage sie sich befand. Ihre dünnen Finger bekamen den kleinen Kopf zu fassen, sie drückte ihn zur Seite, so vorsichtig, als wäre er ein rohes Ei. Immer und immer wieder setzte sie an, immer wieder glitt das Köpfchen zurück in die falsche Position, bis es endlich genau vor die Öffnung rutschte.
    Plötzlich ging alles ganz schnell. Heftige Wehen setzten ein, Lea brüllte noch mehr, und dann auf einmal flutschte der Kopf heraus und mit ihm ein gesunder Junge, der sogleich anfing zu schreien.
    Melisande band die Nabelschnur ab, durchtrennte sie und legte das Kind in die Arme der erschöpften, aber glücklichen Mutter. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihr war schwindelig vor Erschöpfung. Doch sie hatte es geschafft. Mutter und Kind waren wohlauf. Sie wusch sich die blutigen Arme, wies die Mägde an, der jungen Mutter ins Bett zu helfen, und verließ das Schlafgemach.
    Draußen wartete ungeduldig der Hausherr, dem die Anwesenheit bei der Geburt bei Strafe verboten war. Er hatte die Schreie seiner Frau gehört, aber augenscheinlich nicht die seines Sohnes. Als Melisande ihm mitteilte, dass Mutter und Kind wohlauf seien, füllten sich seine Augen mit Tränen.
    Er nahm ihre Hände, verneigte sich vor ihr und hielt ihr einen Beutel hin. »Bitte, nehmt!«
    Aber sie hielt abwehrend die Hände hoch. Dass sie hatte helfen können, war nichts als Glück gewesen. Letztlich verdankten die beiden Gott ihr Leben, der es so beschlossen hatte. Und von einem Juden Geld zu nehmen war Sünde.
    Jakob hatte verstanden, er steckte den Beutel weg, verneigte sich aber erneut vor Melisande. »So werde ich das Geld den Armen geben. Habt Dank, und Gott segne Euch. Wollt Ihr nicht wenigstens das Pferd nehmen?«
    Melisande schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Wenig später stand sie in der stillen Gasse. Sie fühlte sich seltsam friedlich. Der Anblick des Neugeborenen, dieses winzigen und doch so energisch brüllenden Bündels, hatte sie Hoffnung schöpfen lassen. Es gab viele schreckliche Dinge auf der Welt, so viel Elend, Leid und Tod. Doch das Leben ging immer irgendwie weiter.
    Ein Mann kam die Gasse entlang, es war ein Jude, wie sie an seinem spitzen gelben Hut erkannte. Argwöhnisch schaute er zu ihr herüber, dann verschwand er in einem der Häuser.
    Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Der Weg die Hülber Steige hinauf war schon bei Tageslicht beschwerlich, im Dunkeln musste sie doppelt aufmerksam sein.
    Eiligen Schrittes bog Melisande auf den Marktplatz ein, wo sie auf zwei Frauen traf, die sie von ihren Marktbesuchen kannte. Als sie die beiden freundlich grüßte, wandten diese sich jedoch ab und murmelten etwas, das sie nicht verstand.
    Mit einem Mal fröstelte sie. Rasch lief sie weiter, beeilte sich, durch das Pfähler Tor zu kommen, bevor es für die Nacht geschlossen wurde. Mit langen Schritten hielt sie auf die Hülber Steige zu. Doch nicht einmal bei dem steilen Anstieg hinauf zum Egis verschwand die Kälte aus ihren Gliedern.
***
    Zacharias’ Blick glitt suchend durch den Schankraum des »Wilden Mannes«, bis er ein paar bekannte Gesichter entdeckte. An einem Tisch saßen Freunde von ihm, Urban, Lucas, Georg und Veit. Zufrieden grunzte er und kämpfte sich mit seinen breiten Metzgerschultern durch das Gewühl.
    »Zacharias, wie gut, dich zu sehen!«, dröhnte Lucas, der Seifensieder. Er reichte Zacharias nur bis zur Schulter, doch was ihm an Größe fehlte, machte er in der Breite wett. Und seine Bassstimme tat ein Übriges, um ihn imposant erscheinen zu lassen. »Was wir zu bereden haben, dürfte dich ebenfalls interessieren.«
    Zacharias zog einen Schemel heran und ließ sich nieder. Er winkte einer Magd, und wenig später stand ein Becher Bier vor ihm auf dem Tisch. Er leerte ihn in einem Zug und verlangte nach einem weiteren. Erst als der vor ihm stand, widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Seifensieder. »Spuck’s aus, Lucas«, rief er. »Worüber habt ihr gesprochen?«
    Bevor Lucas antworten konnte, beugte Urban, der Gürtler, sich vor. »Die Hexe«, flüsterte er. »Wir haben über die kleine Hexe vom Fronhof geredet. Am Mittwoch hat sich ein Fremder nach ihr erkundigt. Ein

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