Henkerin
gewesen. Er hatte etwas gesehen. Etwas, das er nicht hatte sehen sollen, das wurde ihm jetzt klar. Doch was? Und was war danach geschehen? Hatte de Bruce ihn erwischt? Hatte er deshalb Mörder gedungen? Nein, das konnte nicht sein. Wenn de Bruce tatsächlich in der Kammer hinter dem Weinkeller ein Geheimnis verbarg und Wendel auf dieses Geheimnis gestoßen war, dann konnte der Graf nichts davon wissen. Andernfalls hätte er die Adlerburg niemals lebend verlassen.
***
Eberhard von Säckingen nagte die letzten Reste Fleisch von dem Hühnerbein und warf es in die Ecke. »Eine Heilkundige, so, so«, murmelte er. »Das ist ja höchst bemerkenswert. Weißt du auch, wo sie ihre Künste erlernt hat?«
Sein Gegenüber kratzte sich mit schmutzigen Fingern am Kopf. Es war ein Bauer aus Hülben, dem Dorf direkt bei dem verlassenen Fronhof. Von Säckingen war bei seinen Erkundigungen auf ihn gestoßen und hatte ihn auf ein Mahl und einen Becher Wein in den »Wilden Mann« eingeladen.
»Das weiß ich auch nicht«, sagte der Bauer kauend.
»Und wer weiß es?« Von Säckingen winkte einer Magd, die sofort einen frischen Krug Wein brachte. Die Gäste im »Wilden Mann« waren nicht die vornehmsten, aber die Bedienung war flott, das Essen reichhaltig und der Wein schmackhaft.
Wieder kratzte sich der Bauer. Von Säckingen widerstand der Versuchung, ihm die Hand vom Kopf zu schlagen. Sicher wimmelte es in der verfilzten Kleidung des Mannes von Ungeziefer. Ihn kribbelte es auch schon überall.
»Ich glaube, niemand weiß so genau, was das für eine ist«, sagte der Bauer gedehnt. »Eines Tages war sie da. Die Ida kam mit ihr ins Dorf, um Würste zu kaufen. Das war, als der Hensel geschlachtet hat. Irgendwann um Johannis herum. ›Das ist Mechthild, unsere neue Magd‹, hat die Ida gesagt. Ich hab mir nichts weiter dabei gedacht, auch wenn ich überrascht war, dass der alte Hermann sich plötzlich eine Magd leisten kann. Dass die Mechthild etwas vom Heilen versteht, wissen wir ja erst seit dem Überfall.«
»Als sie den Kaufleuten das Leben gerettet hat«, ergänzte von Säckingen.
»Genau.«
»Sonst weißt du nichts über sie?« Von Säckingen fischte sich ein weiteres Hühnerbein aus der Schüssel, betrachtete die knusprige braune Haut und biss hinein.
Der Bauer schlürfte an seinem Wein. »Nichts, Herr.« Er glotzte gierig in die Schüssel.
Von Säckingen schob sie ihm hin. »Greif zu.«
Das ließ sich der Mann nicht zweimal sagen. Er packte sich mit der Rechten einen Schenkel und mit der Linken einen Flügel und hieb seine faulen Zähne in das zarte Fleisch. Von Säckingen spülte seinen Ekel mit einem Schluck Wein herunter und wartete, bis der Mann die Knochen säuberlich abgenagt hatte. Dann fragte er weiter. »Und was erzählt man sich so?«
»Eine Zauberin soll sie sein. Eine Hexe. Habt Ihr das Haar gesehen, Herr? Es ist feuerrot. Angeblich glüht es, wenn die Sonne darauffällt.«
Vom Nachbartisch beugte sich jemand herüber. Der Kleidung nach war es ein Handwerker, der mit Leder arbeitete, vielleicht ein Gürtler oder Sattler. »Ich hab es selbst gesehen, Meister«, flüsterte er verschwörerisch. »Als sie aus dem Haus des Nagelschmieds kam. Da loderte ihr Haar wie ein Dutzend Sonnen.« Er senkte seine Stimme noch weiter, sodass von Säckingen ihn fast nicht mehr verstehen konnte. »Sie ist eine Buhle des Teufels. Von ihm hat sie ihre Zauberkräfte.«
Von Säckingen erhob sich. Er hatte genug gehört. Von diesen abergläubischen Wichten würde er nichts weiter erfahren außer immer fantastischere Variationen von Mechthilds angeblichen Zauberkünsten. Das brachte ihn nicht weiter. Er warf ein paar Pfennige auf den Tisch. »Trinkt noch einen Becher auf mich«, sagte er und wandte sich ab.
Draußen schlug ihm kühle Nachtluft entgegen. Er blickte gen Norden, wo sich schwarz der Egis erhob. Irgendwo dort oben lag Mechthild auf ihrem Strohsack und schlief. Er ballte die Faust. Dieses Mädchen umgab ein Geheimnis, so weit musste er dem Gerede der Leute zustimmen. Doch dieses Geheimnis bestand nicht darin, dass sie eine Hexe war und mit dem Teufel buhlte. An solchen Unfug glaubte er nicht. Er war sich sicher, dass ihr Geheimnis weltlicher Natur war. Und worin auch immer es bestand, er würde es lüften.
***
Wie die Zeit verging! Gestern noch schien Sommer gewesen zu sein, heute aber hüllten Nebelschwaden die Felder und die goldgelb gefärbten Kronen der Bäume am Waldsaum ein. Fröstelnd fuhr Melisande mit den Händen
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