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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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selbst, und drehte verlegen eine Mütze in den Händen. »Mein Herr, Jakob, Sohn des Nathan aus Urach, schickt mich, Herrin.«
    »Und was begehrt Jakob, Sohn des Nathan, von einer Magd?«
    »Er bittet Euch, seiner Frau zu helfen. Das Kind will nicht heraus, sie hat furchtbare Schmerzen, und mein Herr fürchtet, dass Mutter und Kind die Nacht nicht überleben.«
    Melisande schüttelte den Kopf. Nicht nur, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, was bei einer Geburt zu beachten war. Nein, die Schwangere war auch noch eine Jüdin, und Melisande wusste nicht einmal, welche Regeln und Gebote in jüdischen Haushalten herrschten, ja ob es Christen in Urach überhaupt erlaubt war, ein jüdisches Haus zu betreten. Jede Stadt hatte ihre eigenen Vorschriften, doch selbst wenn es nicht gegen das Gesetz verstieß, war es klüger, sich von den Juden fernzuhalten. Die Kröte war Warnung genug gewesen.
    »Scher dich fort, und sag deinem Herrn, dass ich keine Hebamme bin«, herrschte sie den Knecht an. »Ich verstehe nichts davon, einem Kind auf die Welt zu helfen.«
    Doch der Knecht ließ nicht locker. »Die Hebamme der Christen weigert sich, das Judenviertel zu betreten. Und unsere eigene ist krank. Es gibt keine Frau im Haus, die der Herrin beistehen kann.«
    »Daran kann ich nichts ändern.« Melisande bemühte sich, hart und entschlossen zu klingen. »Ich habe meine eigenen Sorgen.«
    »Mein Herr sagt, Ihr seid eine gute Frau, die es mit der christlichen Nächstenliebe ernst meint.«
    Melisande kniff die Augen zusammen. »Was versteht denn Euer Herr von christlicher Nächstenliebe? Entstammt er nicht dem Volk der Christusmörder?«
    Der Knecht senkte erschrocken den Kopf. »Er hat mir befohlen, nicht ohne Euch nach Urach zurückzukehren. Was soll ich denn tun?«
    Melisande seufzte. Der Bursche tat ihr leid. Und auch die Frau, der niemand in dieser schweren Stunde beistand. Doch es half nichts. »Ich kann nichts für Eure Herrin tun. Am Ende würde ich mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen. Sag deinem Herr, dass dies meine endgültige Antwort ist.«
    Der Knecht begann zu weinen. »Dann ist alles verloren. Ich kann nicht mehr in das Haus meines Herrn zurückkehren, meine Herrin wird sterben und das Kind mit ihr. Mein Herr wird es nicht ertragen und sich das Leben nehmen. So wird in einer Nacht eine ganze Familie ausgelöscht. Und glaubt mir, Frau, Jakob, der Sohn des Nathan, hat Jesus Christus nichts angetan.«
    Melisande fluchte leise, bekreuzigte sich, packte alles zusammen, von dem sie annahm, dass es bei einer Geburt hilfreich sein konnte, und befahl dem Knecht, sie nach Urach zu seinem Herrn zu bringen.
    Es dämmerte bereits, als sie in die Stadt ritten. Der Knecht führte Melisande vom Marktplatz aus in die Judengasse, am Haus des jüdischen Schlachters und des Goldschmieds vorbei. Vor einem großen Gebäude hielt er an, nahm die Pferde und schob Melisande zur Tür, die sich sofort öffnete.
    Ein großer Mann mit Vollbart stand im Rahmen und füllte ihn fast aus. Melisande verstand von dem Wortschwall, der sich über sie ergoss, nicht ein Wort. Wahrscheinlich war es Hebräisch, die Sprache der Juden. Doch das dankbare Schimmern in seinen Augen bedurfte keiner Übersetzung.
    Als er ihren verständnislosen Gesichtsausdruck bemerkte, schlug der Mann sich die Hand an den Kopf, wechselte die Sprache und rief eine Magd herbei. »Bring die Heilerin zu Lea, und tu alles, was sie dir aufträgt!«
    Die Magd knickste und lief voran, Melisande folgte ihr.
    Beim Anblick der Schwangeren erschrak Melisande zutiefst. Die Frau saß mit zusammengekrümmtem Oberkörper auf einem Stuhl und wimmerte. Ihr Gewand war schweißnass, zwei Mägde hielten ihre Arme und schauten Melisande erwartungsvoll an.
    Und jetzt? Ein paarmal hatte Melisande zugeschaut, wie Kälber auf die Welt gekommen waren, und einmal hatte sie gesehen, wie ein Bauer seinen Arm in die Kuh gesteckt hatte, um das Kalb in die richtige Position zu bringen. »Immer mit dem Kopf zuerst«, hatte er vor sich hin gemurmelt. Vielleicht war es das? Und wenn nicht? Wenn die Frau, ihr Kind oder gar beide während der Geburt starben?
    »Ihr erlaubt?« Sie kniete sich vor den Stuhl und wusch sich die Hände mit heißem Wasser und starkem Wein. Dann begann sie vorsichtig im Leib der Frau nach dem Köpfchen des Kindes zu tasten. Tatsächlich. Das Kind lag wie das Kalb ein wenig verdreht und blockierte sich selbst den Weg in die Welt. »Ich muss das Kleine ein Stück drehen«, sagte sie.

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