Henkerin
Dämmerung würden die Männer den Wald nach ihr absuchen. Also tastete sie nach dem Bündel, das unversehrt an seinem Platz lag. Wie gut, dass sie die Männerkleider fertig genäht und ebenfalls hier verborgen hatte. Nun würde sie ein zweites Mal zum Mann werden. Aber nicht, um sich zu verstecken oder wegzurennen. Nie wieder sollte jemand ihretwegen leiden! Sie ballte die Hand zur Faust, schloss die Augen und schwor, dass dies ihre letzte Flucht gewesen war. Die Zeit war gekommen, sich de Bruce zu stellen.
Sie kroch aus der Höhle, streifte das blaue Kleid ab, schnürte sich ein und zog die Beinlinge und den Surcot aus grüner Wolle an, den sie in den letzten Tagen in aller Eile genäht hatte. Obwohl er nicht besonders kunstvoll geschneidert war, verlieh er ihr ein vornehmes Äußeres, denn der Wollstoff, den der Schneider ihr geschenkt hatte, war von vorzüglicher Qualität. Jetzt rettete ihr die Dankbarkeit dieses Mannes womöglich das Leben.
Sie schnürte das Kleid und alle anderen Habseligkeiten in dem Bündel zusammen und hängte sich die Tasche des Schreibers an den Gürtel. Mit ihrem Dolch schnitt sie sich das Haar bis auf Kinnlänge zurück. Das würde ihrem Gesicht eine etwas andere Form verleihen. Eine Gugel im gleichen Stoff wie der Surcot würde das Übrige tun.
Wieder lauschte sie, doch außer dem Murmeln des Bachs war nichts zu hören. Sie füllte ihren Schlauch mit Wasser und hängte ihn sich um. Dann brach sie auf. Ihr Ziel war Reutlingen. Von dort würde sie ihre Rache an Ottmar de Bruce in die Wege leiten. Und Wendel Füger war der Mann, der ihr helfen würde, ihrem Erzfeind die tödliche Falle zu stellen.
***
Eberhard von Säckingen blickte auf die fünf erbärmlichen Gestalten hinab, die seine Männer auf einem Feld zusammengetrieben hatten. »Ihr habt gegen die Gesetze Württembergs verstoßen! Ihr seid Verbrecher, Abschaum, widerliches Lumpenpack! Ihr habt drei Menschen heimtückisch ermordet. Darauf steht die Todesstrafe. Ich werde eigenhändig dafür sorgen, dass ihr am Galgen baumelt.«
Einer der Kerle regte sich. »Aber wir wussten –«
Sein Nachbar stieß ihn unsanft in die Seite, und er verstummte abrupt.
Von Säckingen beugte sich vor. »Du wolltest etwas sagen, Bürschlein?«
Der Mann, ein hässlicher Jüngling mit einem schiefen, plattgedrückten Gesicht, schüttelte heftig den Kopf.
Von Säckingen lachte bitter. Männer wie diese widerten ihn an. Feiglinge, die sich stark fühlten, wenn sie hilflose Weiber und alte Männer im Schlaf umbrachten, und die sich die Hosen vollmachten, wenn sie es mit einem Ebenbürtigen aufnehmen sollten. Er hatte solche Weichlinge oft genug im Krieg erlebt. Wenn die Gefahr weit weg war, rissen sie das Maul auf, doch wenn sie dem Feind gegenüberstanden, pissten sie sich vor Angst in die Hosen.
»Wartet es nur ab«, erwiderte er gelassen. »Der Scharfrichter wird euch allen im Nu die Zunge lösen. Ihr werdet euch noch darum streiten, wer zuerst gestehen darf. Und jetzt ab mit euch! Euer Anblick ekelt mich.«
Er gab seinen Männern ein Zeichen, die Gefangenen hinunter nach Urach zu eskortieren. Er selbst lenkte sein Pferd in Richtung des Fronhofs, dessen Umrisse im grauen Zwielicht der Morgendämmerung am Horizont aufragten.
Von Säckingen saß ab und schritt langsam auf das verkohlte Haus zu. Ein taubes Gefühl schnürte ihm die Brust ein, eine Art Schmerz, den er sich nicht erklären konnte. Mit den Füßen stieß er die schwarzen Balken auseinander, die immer noch eine ungeheure Hitze ausstrahlten.
Bald fand er, was er suchte: einen verkohlten menschlichen Körper. Dann noch einen. Er wühlte weiter in der Ruine herum, doch einen dritten Toten fand er nicht. War es möglich, dass einer der drei Bewohner so stark verbrannt war, dass nichts von seinem Leichnam übrig war? Oder hatte einer den Anschlag überlebt?
Eberhard von Säckingen blickte sich um. Mit einem Mal schlug sein Herz heftig. Er rannte von einem Gebäude zum anderen. Schließlich erreichte er ein kleines Steinhaus, dessen Fensterladen neu wirkte. Er zog die Tür auf, die nur angelehnt war, und hielt die Luft an. Tatsächlich. Hier wohnte jemand. Er betrachtete die wenigen Gegenstände, die herumlagen: Nähzeug, ein Rest grüner Zwirn, ein hölzerner Becher, eine Waschschüssel, ein Tuch und ein Strohsack, auf dem offensichtlich erst kürzlich jemand gelegen hatte. Dafür gab es nur eine Erklärung. Hier hatte Mechthild gewohnt, und die Hexenjäger hatten es nicht gewusst.
Er
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