Henkerin
fordern.«
Wendel sah sie überrascht an, wechselte aber das Thema. So sprachen sie den Rest des Mahls über andere Dinge, über Reutlingen, die Weinlese und den älteren Mann beim Fenster, der wohl ein berühmter Baumeister auf der Durchreise war.
Schließlich zog Melisande sich zurück. Wendel versprach, sie später rufen zu lassen und seinem Vater vorzustellen, der entscheiden würde, ob man Merten de Willms als neuen Schreiber in Dienst nahm.
Benommen kehrte Melisande in die kleine Schlafkammer zurück. Sie stellte sich ans Fenster und blickte hinaus auf den Hof, in den gerade ein Fuhrwerk voller mit Trauben beladener Körbe einbog. Ihr Körper kribbelte vor Anspannung. Sie hatte nicht vorgehabt, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Eigentlich hatte sie Wendel gar nichts von ihren Plänen erzählen wollen. Er hatte ihr nur dabei helfen sollen, ins Innere der Adlerburg zu gelangen, indem sie ihn als Schreiber bei einer seiner Lieferungen begleitete. Warum nur hatte sie ihm die Wahrheit angedeutet? Warum hatte sie so viel aufs Spiel gesetzt?
***
»Raus!« Ottmar de Bruce schleuderte den Brotkanten auf den Tisch, den er soeben noch in die Bratensoße getunkt hatte. »Raus!«, brüllte er erneut. »Alle raus hier, ich will euch heute nicht mehr sehen!«
Seine Höflinge und Ritter erhoben sich hastig, eine Magd half der alten Emelin beim Aufstehen. Othilia, deren Bauch sich bereits ein wenig rundete, blickte ihn fragend über den Rand des Weinkelchs hinweg an.
»Alle, habe ich gesagt!«, schnauzte er sie an. »Auch du!«
Eberhard von Säckingen hatte sich gemeinsam mit den anderen von der Tafel erhoben. Wenn de Bruce in solcher Laune war, tat man gut daran, seinen Anweisungen unverzüglich Folge zu leisten und sich unsichtbar zu machen. Doch Letzteres gelang ihm nicht. Er war schon bei der Tür, als sein Herr ihn zurückrief.
»Alle bis auf Euch, von Säckingen. Ihr bleibt und leistet mir noch ein wenig Gesellschaft!«
Von Säckingen seufzte tonlos und wandte sich um. Mit wenigen Schritten war er wieder bei der Tafel und ließ sich auf seinen Stuhl sinken.
Schließlich war der Saal leer. De Bruce starrte auf die Tafel. Von Säckingen folgte seinem Blick. Essensreste, umgeschüttete Kelche und angebissene Früchte und Hühnerknochen lagen bunt durcheinander.
»Ihr seid also nun ein echter Held, von Säckingen«, sagte de Bruce, ohne aufzublicken. »Der Rächer von Urach.«
»Ich habe getan, was meine Pflicht als Ritter im Dienste Württembergs ist«, antwortete von Säckingen.
»Ha!« De Bruce schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, die Kerzen flackerten unruhig auf. »Und was habt Ihr in Urach gewollt? Und kommt mir nicht wieder mit ›vertraulichen Angelegenheiten‹!« Er sah von Säckingen mit zusammengekniffenen Augen an.
»Ich bin einer Spur gefolgt«, erklärte von Säckingen zögernd. Er hatte sich vor diesem Gespräch gefürchtet. Was sollte er seinem Herrn sagen, wo er doch nicht einmal selbst verstand, was er von dieser Mechthild wollte?
De Bruce hob die Augenbrauen.
»Der Spur von Dietrich, dem Fuchs«, fügte er rasch hinzu. Das war nicht einmal gelogen. Das Letzte, was Dietrich erwähnt hatte, bevor von Säckingen ihm seinen hässlichen Kopf abgeschlagen hatte, war der Fronhof gewesen, auf dem er angeblich eine Spur des Esslinger Henkers entdeckt hatte.
De Bruce verschränkte die Arme. »Ich dachte, der sei tot. Ihr habt mir seinen Kopf gebracht.« Sein Blick hatte jetzt etwas Lauerndes.
Von Säckingen wusste, dass er auf der Hut sein musste. »Ist er auch.« Er begann zu schwitzen. Seine Gedanken rasten, doch ihm fiel keine überzeugende Lüge ein, die er de Bruce auftischen konnte. Also musste er ihm die Wahrheit gestehen. »Ich war noch einmal auf dem Fronhof, von dem er erzählt hat. Die Magd dort, Mechthild –«
»Die Magd?« De Bruce warf die Arme in die Luft. »Ihr seid vier Meilen gereist für eine Magd? Gibt es hier auf der Adlerburg nicht Mägde genug, mit denen Ihr Euch vergnügen könnt? Was ist in Euch gefahren? Gefallen Euch etwa meine Mägde nicht?«
Eberhard von Säckingens Gesicht glühte. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, der von seiner Mutter zurechtgewiesen wird. Nur dass von einer Mutter gewöhnlich keine Lebensgefahr für den Sohn ausging. »Ihr missversteht mich, mein Herr.«
De Bruce neigte den Kopf. »Ach?«
»Mit dieser speziellen Magd stimmt etwas nicht«, berichtete er stockend. Er verfluchte sich dafür, dass er sich nicht rechtzeitig eine
Weitere Kostenlose Bücher