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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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fiel auf den Henker und seine Knechte. Einen Herzschlag lang glaubte er, einer Täuschung erlegen zu sein. Der Henker erinnerte ihn an jemanden. An einen anderen Henker, dem er früher einmal begegnet sein musste. So ein Unsinn! Er verwarf den Gedanken so schnell, wie er gekommen war. Er hatte bereits so vielen Hinrichtungen beigewohnt, dass er sie nicht mehr zählen konnte. Mit Sicherheit hatte er auch diesen Mann schon bei der Arbeit gesehen.
***
    Wendel sah, wie der Henker langsam auf das Podest zuschritt. Er stutzte. Dann brach die Erinnerung über ihn herein. Melchior! Das war Melchior, der Henker aus Esslingen! Das war der Mann, der ihn erst gefoltert und dann aus dem Kerker befreit hatte. Der Gang, die Statur. Aber vor allem die widerspenstige Haarsträhne, die unter der Henkerskapuze hervorlugte und aussah wie eine züngelnde Flamme.
    Was machte Melchior hier? War er nicht schon vor Monaten für tot erklärt worden? Hektisch sah Wendel sich um. Alle Augen folgten dem Schauspiel auf dem Podest, niemand schien bemerkt zu haben, was er bemerkt hatte. Wie auch? In Urach kannte niemand den Esslinger Henker.
    Wendel runzelte die Stirn. Wie kam der Mann hierher? Hatte er eine neue Stelle in einer anderen Stadt gefunden? Einfach so, unter einem neuen Namen, ohne dass jemand nachgefragt hatte, wer er war?
    Wendel blickte genauer hin. Melchior wirkte ein wenig kräftiger, als er ihn in Erinnerung hatte. Doch womöglich hatte er sich nur die Kleider ausgestopft, damit man ihn nicht an der Statur erkannte. Die Maskerade war ihm gründlich misslungen. Was für ein seltsamer Mann! Zu gern hätte Wendel gewusst, warum er damals sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um ihn zu retten. Und sich bei ihm bedankt. Vielleicht ergab sich nach der Hinrichtung die Möglichkeit, den Henker aufzusuchen. Doch er musste vorsichtig sein, er wollte seinen Retter keinesfalls in Gefahr bringen, und der Umgang mit einem Henker war auch in Urach ein gewagtes Spiel.
    De Bruce kniete nieder. Der Henker stellte sich vor ihn. Er schien etwas zu sagen, vermutlich sprach er die formelle Entschuldigung, die jeder Scharfrichter aufsagte, bevor er das Urteil vollstreckte. Wendel stutzte, sah genauer hin. Doch es gab keinen Zweifel, der Henker sprach.
    Aber der Esslinger Henker war stumm gewesen! Wie war das möglich? Wendel hätte schwören können, dass es der gleiche Mann war. Jetzt war er sich nicht mehr sicher. Konnte es sein, dass er in jedem Henker seinen Folterknecht und Retter sah? Wusste er überhaupt noch, wie der Mann aussah? Seine Erinnerung war so verschwommen, dass er nicht einmal mehr die Augenfarbe von Melchior hätte benennen können, und nun meinte er plötzlich, ihn unter einer Kapuze sicher erkannt zu haben. Rotes Haar hatten viele Menschen. Das waren die Nerven, keine Frage.
    Er schaute in die Menge, ob er irgendwo Mertens Schopf sah, doch der blieb verschwunden. Wie gern hätte er den Freund jetzt an seiner Seite gehabt. Mit ihm, da war er sicher, konnte er alles durchstehen.
    Wendel blickte zurück zu dem Podest vor der Tribüne. Gerade rechtzeitig. Der Henker hatte bereits das Schwert erhoben, der Priester war zurückgetreten. De Bruce erwartete den Schlag erhobenen Hauptes, die Schlaffheit, die seinen Körper vorübergehend ergriffen hatte, war verschwunden.
    Der Henker holte aus, sein Körper vollführte eine halbe Drehung. Keinen Wimpernschlag später landete das Schwert einen Fingerbreit neben de Bruce im Holz des Podestes, wo es zitternd stecken blieb.
    Einen Moment lang senkte sich fassungsloses Schweigen über den Marktplatz. Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Der Henker sprang vom Podest und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Die Büttel rannten hinter ihm her. Die Soldaten, die rund um den Richtplatz Wache hielten, blickten verunsichert in alle Richtungen. De Bruce rollte sich zur Seite, einige seiner Männer kämpften sich zu ihm vor und halfen ihm vom Podest. Der Priester fiel auf die Knie und betete. Graf Ulrich sprang auf und rief nach den Bütteln, die die Verfolgung des Henkers aufgaben und zurück zum Podest rannten. Ebenso wie die Soldaten, die nun endlich begriffen, wie ernst die Lage war.
    Das Ganze dauerte nur wenige Augenblicke. Sowohl der Henker als auch Ottmar de Bruce tauchten im Gedränge unter. Graf Ulrich ließ seine Truppen ausschwärmen, doch Wendel bezweifelte, dass sie etwas ausrichten würden, denn die Menge verwandelte sich in eine tobende Herde. Noch einmal hielt er nach Merten

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