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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Sinn gekommen. Nach Württemberg würde er vorerst nicht zurückkehren können, zumindest, solange Ulrich an der Macht war. Aber es hieß, jenseits der Alpen seien die Sommer ebenso lieblich wie die Frauen, und Wein gab es dort auch.
    Als ein kleiner Bach den Weg kreuzte, beschloss de Bruce, eine Rast einzulegen. Er saß ab und führte das Pferd am Bachlauf entlang in den Wald hinein. Nach einer Weile tat sich eine Lichtung auf. De Bruce hielt erschrocken inne, als er bemerkte, dass er nicht allein war, dann hätte er beinahe laut aufgelacht.
    Dort stand der Mann, dem er noch Dank schuldete. Der Henker, der ihn verschont hatte. Und jetzt, wo er die schwarze Kapuze nicht mehr trug, erkannte er ihn auch. Das feuerrote Haar verriet ihn. Es war Melchior, der Mann, der vor einigen Monaten auf rätselhafte Weise aus Esslingen verschwunden war. Der Mann, der das Schwert führte wie kein Zweiter, der Mann, der angeblich den Karcher Wendel Füger aus dem Verlies befreit hatte.
    Offenbar hatte Melchior ihn noch nicht bemerkt. Er stand mit dem Rücken zu ihm und war damit beschäftigt, seine bunten Gewänder abzulegen. Auf einem Baumstumpf neben ihm lag ein unauffälliger grüner Surcot, daneben ein Kurzschwert und ein kleines Bündel.
    De Bruce fragte sich, wie von Säckingen den Mann aufgespürt und warum er ihn nicht eingeweiht hatte. Vielleicht hatte er verhindern wollen, dass er unter der Folter etwas verriet. Doch de Bruce war nicht gefoltert worden, einem Mann von seinem Stand tat man so etwas nicht an. Er betrachtete Melchior wohlwollend. Ein Bursche wie er war Gold wert. Er würde ihm nicht nur die Entführung des Karchers verzeihen, sondern ihn sogar in seine Dienste nehmen.
    Er sah zu, wie der Henker die Cotte über den Kopf zog und sich über den Bach beugte, vermutlich, um sich zu waschen. Seltsamerweise trug er eine Schnürung um den Oberkörper, so als sei er an der Brust verletzt. Er löste die Schnürung, wickelte sie Schicht für Schicht ab.
    De Bruce stutzte. Der Körper des Henkers war noch schlanker und schmaler, als er unter den Gewändern gewirkt hatte. Jetzt, ohne die Schnürung, sah er aus wie ein zwölfjähriger Knabe. Oder wie ...
    In dem Augenblick wandte der Henker sich um.
    De Bruce hielt den Atem an. Vor ihm auf der Lichtung stand eine Frau. Ihr schulterlanges rotes Haar leuchtete wie Feuer, ihre blauen Augen strahlten, doch de Bruce hatte nur Augen für ihre kleinen weißen Brüste. Der Henker von Esslingen war eine Frau. Er brauchte genau drei Atemzüge, bis er begriff.
    Lautlos zog er Eberhard von Säckingens Schwert aus der Scheide.
***
    Melisande spürte die Anwesenheit eines anderen Menschen, noch bevor sie das Knacken hinter sich hörte. Langsam drehte sie sich um. Zunächst sah sie nichts, doch dann entdeckte sie am Rand der Lichtung eine Gestalt, die ein Pferd am Zügel hielt. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie fast unbekleidet war. Erschrocken machte sie einen Schritt rückwärts, während der Mann zwischen den Bäumen hervortrat. Ihr wurde eiskalt. Vor ihr stand Ottmar de Bruce, ein Schwert in der erhobenen Hand. Das von der Kerkerhaft eingefallene, unrasierte Gesicht und der kahl geschorene Schädel ließen ihn aussehen, als sei er geradewegs der Hölle entsprungen.
    Melisandes Gedanken überschlugen sich. Sie hätte ihn töten sollen, als sie die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Als er vor ihr kniete und auf den Hieb des Richtschwerts wartete. Aber sie hatte es nicht tun können. Ihre Arme hatten sich geweigert, ihren Dienst zu versehen, denn es wäre nicht Melchior, der Henker, gewesen, der de Bruce den Kopf zu Recht abschlug, sondern Melisande Wilhelmis, die billige Rache geübt hätte für die Ermordung ihrer Familie. Damit hätte sie sich mit de Bruce gemein gemacht. Sollte doch der rechtmäßige Henker das Urteil an Ottmar de Bruce vollstrecken, wie Recht und Gesetz es vorsahen, ihr stand es nicht zu.
    Nachdem sie das Schwert in das Holz gerammt hatte, war sie geflohen. Offenbar hatte de Bruce die allgemeine Verwirrung genutzt, um ebenfalls zu flüchten. Und nun war er hier. War er ihr gefolgt? Hatte er sie schon in den Henkersgewändern erkannt? Oder hatte das Schicksal sie hier im Wald zusammengeführt?
    De Bruce lief über die Lichtung auf sie zu. Als er noch etwa zehn Schritte von ihr entfernt war, blieb er stehen. »Melisande Wilhelmis ...« Ein siegessicheres Lächeln umspielte seine Lippen. »Welch eine Überraschung! Oder soll ich Euch lieber Melchior nennen?«
    Sie

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