Henkerin
Keller meiner Burg verschiedene Weine mit Goldglätte und anderen Ingredienzien versetzt und sie danach zu überteuerten Preisen veräußert zu haben, um mich zu bereichern.« Mit monotoner, nahezu gleichgültiger Stimme gestand de Bruce seine Ta t e n.
Ein erstauntes, fast enttäuschtes Raunen ging durch die Menge. Das erwartete Spektakel war ausgeblieben. Petters Blick wanderte über die Urteilsfinder, die übrigen Grafen. Sie alle sahen ernst und gefasst aus. Er schaute auf die andere Seite, wo der Schreiber eifrig die Feder über das Pergament kratzen ließ. Zum Henker, der völlig reglos dastand.
Ein Zucken ging durch Petters Körper. Fassungslos glotzte er den Henker an. In der Tat. Es gab keinen Zweifel, auch wenn der Mann das Antlitz unter einer schwarzen Kapuze verborgen hatte. Eine Strähne feuerroten Haares lugte darunter hervor. Der Scharfrichter schob sie jetzt zwar eilig unter den Stoff, aber zu spät. Diesen Henker kannte er. Die Statur, die Körperhaltung, die schmalen schlanken Finger, die das Richtschwert umklammerten. Mehr als einmal hatte er ihn eingehend bei der Arbeit beobachtet, mit Bewunderung jede seiner vollkommenen Bewegungen studiert. Das war Melchior, der Henker von Esslingen.
Petter grinste. Er war ein gemachter Mann. Konrad Sempach würde äußerst zufrieden mit ihm sein.
***
Eberhard von Säckingen biss sich auf die Unterlippe. Er war hin- und hergerissen. Da vorne stand sein Herr, dem er bedingungslose Treue geschworen hatte, und war dem Tode geweiht. Auch wenn Graf Ulrich das Urteil noch nicht verkündet hatte, bestand kein Zweifel daran, wie es ausfallen würde. De Bruce war zu weit gegangen. Niemand interessierte sich dafür, welche krummen Geschäfte der Herr der Adlerburg machte oder was er mit den Leuten niederer Stände anstellte, solange er seinesgleichen unbehelligt ließ. Viele Grafen waren wie er, ja sogar schlimmer, verdienten ihren Lebensunterhalt mit Raubzügen. Nur selten wurden sie dafür zur Rechenschaft gezogen, nicht nur, weil ihnen kaum etwas nachzuweisen war, sondern auch, weil niemand Lust hatte, monatelang eine Burg zu belagern, um den Burgherrn zu verhaften. Mit de Bruce war Graf Ulrich ein äußerst seltener Handstreich gelungen, weil er nicht damit gerechnet hatte, festgenommen zu werden.
Warum war de Bruce so leichtsinnig gewesen, ausgerechnet Graf Ulrich mit dem gepanschten Wein zu beliefern? Es war doch abzusehen gewesen, dass dieser hart durchgreifen würde, wenn er davon Wind bekam, zumal jetzt, wo auch noch einer seiner Ritter elend an dem Wein krepiert war.
Die Grafen auf der Tribüne tuschelten miteinander. Sie schienen sich einig zu sein, das war kein gutes Zeichen.
Von Säckingen versuchte, nicht daran zu denken, wie sein Leben nach de Bruce’ Tod aussehen würde. Kein anständiger Graf würde ihn in seine Dienste nehmen, auch wenn er ein erfahrener und guter Hauptmann war. Jeder musste annehmen, dass er in viele von de Bruce’ ungesetzliche Machenschaften verwickelt gewesen war. Zu Recht. Nur von der Weinpanscherei hatte er tatsächlich nichts gewusst. Blieben die unlauteren Burgherren.
Von Säckingen seufzte. Er hatte keine Lust, einem der Raubritter zu dienen und für den Rest seiner Tage Handelszüge zu überfallen und vogelfrei zu sein. Auf diese Art seinen Lebensunterhalt zu verdienen widerte ihn an. Er hatte nichts gegen eine anständige Fehde, so wie de Bruce sie mit Konrad Wilhelmis geführt hatte. Der Mann hatte de Bruce’ Sohn vielleicht zu Recht, aber ohne Sinn und Verstand getötet. Eine solche Tat rechtfertigte jegliche Rache. Aufrechte Kaufleute aus Habgier zu überfallen war etwas ganz anderes.
Der einzige Vorzug, den de Bruce’ Tod für ihn haben würde, war, dass er nun nicht mehr zwischen ihm und Mechthild stand. Doch das war ein bitterer Trost. Zumal die Metze nach wie vor spurlos verschwunden war.
Ulrich hob den Richterstab. »Das Urteil ist gefunden«, rief er. »Ottmar de Bruce, Graf der Adlerburg, soll den Tod durch das Schwert erleiden. In Anbetracht der besonderen Umstände wird es gleich hier an Ort und Stelle vollstreckt.«
Das Grölen Hunderter Kehlen ließ den Marktplatz erzittern. Neben von Säckingen fluchte einer der Ritter. Es war Adam, der schon als Knappe dem Grafen gedient hatte. De Bruce’ Kopf war auf die Brust gefallen, aller Hochmut schien von ihm gewichen. Mit Mühe drängten die Büttel die Menschen zurück, die sich nichts von dem Schauspiel entgehen lassen wollten.
Von Säckingens Blick
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