Henkerin
Ausschau. Doch auch der schien immer noch vom Erdboden verschluckt.
Die ersten Schmerzensschreie drangen auf die Tribüne. Alle versuchten, in Windeseile den Platz zu verlassen, kein Rufen und keine Befehle konnten die Masse aufhalten.
Immer mehr Menschen drückten von hinten nach, bald würden die ersten auf die Zuschauertribüne steigen und alles überrennen, was ihnen im Weg war. Wendel sprang auf. »Komm! Wir müssen hier weg!« Er zog seinen Vater hinter sich her und verschwand in einer Gasse hinter der Tribüne, die für die Menschen auf dem Platz noch unerreichbar war.
Das Schreien und Toben wurde leiser, aber in Wendels Kopf rauschte es umso lauter. Merten war verschwunden, der Henker und de Bruce ebenso. Wenn der Henker Melchior war, dann gehörte er doch zu de Bruce’ Männern. Ein wahrhaft teuflischer Plan, und er war aufgegangen.
Er musste so schnell wie möglich zurück in die sicheren Mauern von Reutlingen. Sie erreichten ihre Pferde. Kurz darauf jagten Wendel und sein Vater im gestreckten Galopp aus der Stadt hinaus.
***
Die Männer trieben ihre Pferde zum Äußersten an. Es ging eine steile Böschung hoch, der Pfad war eng und steinig. Nachdem seine Leute ihn von dem Podest geholt und rücksichtslos durch die Menge zu dem Platz geschleust hatten, wo die Pferde warteten, hatte de Bruce sofort das Kommando übernommen. Niemand hatte auch nur ein Wort mehr als nötig verloren. Sie hatten den Weg nach Süden eingeschlagen, nach Ulm. Das lag in entgegengesetzter Richtung zur Adlerburg, hier würde man sie vorerst nicht vermuten.
Als sie etwa zwei Stunden von Urach entfernt waren, hob de Bruce die Hand. Augenblicklich blieben alle stehen.
»Männer«, sagte der Graf. »Ich danke Euch für Eure Treue. Ich bin stolz auf Euch. Der Plan war perfekt. Auch wenn Ihr mich ein bisschen früher hättet einweihen können.« Er lachte grölend. Niemand wandte etwas ein.
Von Säckingen räusperte sich. »Was habt Ihr nun vor, Herr? Wohin wollt Ihr fliehen?«
»Ich habe mächtige Freunde jenseits der Alpen«, erwiderte de Bruce. Er war froh, dass er sich rechtzeitig darum bemüht hatte, viele Bündnisse einzugehen. Dass es genügend Männer gab, die ihm Gefallen schuldeten. »Von hier aus werde ich allein weiterziehen. Das ist sicherer. Für mich und für Euch.« De Bruce hielt inne. »Eberhard von Säckingen, denkt an den Auftrag, den ich Euch erteilte. Solltet Ihr erfolgreich sein, will ich umgehend informiert werden. Ich lasse Euch so bald wie möglich eine Nachricht zukommen, wie Ihr mit mir in Verbindung treten könnt. Bis dahin dient Ihr meiner Gemahlin.«
»Wie Ihr befehlt, Herr«, erwiderte von Säckingen. »Habt Ihr sonst noch Anweisungen?«
De Bruce winkte ab. »Nein. Aber ich brauche ein Schwert.« Er streckte die Hand aus, von Säckingen löste seinen Schwertgurt und reichte ihn de Bruce. Der band ihn sich um, zog das Schwert und fuhr mit dem Finger über die Scheide. »Sehr schön«, murmelte er. »Jetzt noch Geld. Alles, was Ihr bei Euch tragt. Und ein Gewand, in dem man mir nicht gleich ansieht, dass ich soeben dem Richtschwert entgangen bin.«
Von Säckingen entkleidete sich mit unbewegter Miene und reichte de Bruce sein Gewand und seinen Umhang. Dann knotete er seinen Beutel vom Gürtel, die anderen Männer taten es ihm gleich. Von Säckingen zählte kurz. »Das sind mehr als sieben Pfund Heller. Das sollte für den Anfang genügen.«
De Bruce zog kurz die Augenbrauen hoch. Ein beträchtliches Vermögen, das seine Leute für ihn aufgebracht hatten.
Wenig später ritt er allein weiter. Seine Männer hatten kehrtgemacht, um in einem Bogen über Esslingen zur Adlerburg zurückzureiten. Niemand hatte in dem Durcheinander auf dem Uracher Marktplatz Zeit gehabt, sich ihre Gesichter einzuprägen. Wer also wollte behaupten, dass sie überhaupt dort gewesen waren? Sie kamen von einer Geschäftsreise aus Heilbronn zurück, was der Graf dort, ein Vertrauter von de Bruce, jederzeit bestätigen würde.
De Bruce selbst hatte ebenfalls die Richtung geändert und ritt jetzt gen Westen. In Rottweil kannte er jemanden, der ihm mit Sicherheit weiterhelfen würde. Doch das hatte er nicht einmal seinen Männern verraten. Je weniger sie wussten, desto besser. Diese Teufelskerle. Hatten den Henker bestochen, um ihn zu retten! Bestimmt war das von Säckingens Idee gewesen. Wie gut, dass er seinem Hauptmann die Sache mit Wendel Füger vergeben hatte. Keinem anderen seiner Männer wäre ein so genialer Plan in den
Weitere Kostenlose Bücher