Henkerin
dem Reichtum kamen die Glücksritter und die Halunken. Am Nachmittag musste er zum Schelkopfstor, in dem sich der Kerker befand. Da wartete ein Kerl, dem man vorwarf, einen Sack Mehl gestohlen zu haben. Kein Wort hatte der Dieb bis jetzt gesagt. Auch gutes Zureden hatte nichts geholfen. Raimund schätzte, dass er nicht länger brauchen würde, als eine Predigt dauerte, um den Mann zum Sprechen zu bringen. Er bog rechts in die Strohgasse ein, und schon stand er vor dem Wohnturm, der die Ecke zur Barfüßergasse bildete.
Er klopfte das verabredete Zeichen. Dreimal kurz, dreimal lang. Sofort öffnete sich die Sichtklappe in dem schweren Tor. Das Gesicht von Hiltrud, der Magd, tauchte kurz auf. Der Riegel schepperte, und schon stand Raimund in der kühlen Vorhalle, in der es nach Rauchfleisch duftete. Raimund lief das Wasser im Mund zusammen, sein Magen knurrte. Er hatte seit gestern nichts gegessen.
Hiltrud sagte kein Wort, sondern zeigte nur auf die Treppe. Raimund ging voran ins oberste Stockwerk, wo Meister Henrichs Schlafgemach lag. Henrichs Gemahlin Mathilde, eine blasse dunkelhaarige Frau, die deutlich jünger war als ihr Gemahl, stand am Bett und bekreuzigte sich, als Raimund eintrat.
Meister Henrich fuchtelte mit den Armen. »Lass das doch, verflucht noch mal! Er kommt nicht hierher, um mir den Kopf abzuschlagen, Weib.«
Wieder bekreuzigte sich seine Gemahlin. »Gott steh mir bei in Not und Pein.«
Henrich aber rief mit klarer Stimme: »Seid willkommen, Raimund Magnus, und stört Euch nicht an meiner Frau. Ihr seid spät dran und werdet voller Ungeduld erwartet. Ich weiß es zu schätzen, dass Ihr Euch meinetwegen die Nacht um die Ohren schlagt. Ich hoffe, Ihr habt die Kräuter beisammen, die mich alten Esel wieder auf die Beine stellen.«
»Hier drin ist alles, was ich brauche.« Raimund hielt seinen Beutel hoch. »Habt Dank für Eure Freundlichkeit, Meister Henrich.« Er nickte Mathilde höflich zu, die als Antwort ihre Gebetsschnur fester packte.
Der Verletzte setze sich auf und stöhnte. »Weib, hol Bier. Von dem dunklen, starken. Wir werden es brauchen, nicht wahr?«
Raimund nickte. »Und bringt Wasser zum Kochen, legt saubere Leintücher bereit, und füllt ein halbes Maß starken Weins ab. Außerdem brauche ich Seife.«
»Weib, hast du gehört? Spute dich, oder willst du mich heute noch zu Grabe tragen?«
»Um Gottes willen, nein!« Wieder bekreuzigte sich Mathilde. »Ich eile ja schon.« Sie lief von dannen, um die Befehle ihres Mannes auszuführen.
Raimund öffnete seinen Beutel, stellte Mörser und Stößel auf den Tisch und begann die Kräuter, die er gesammelt hatte, zu einem Brei zu zerquetschen. Ein leicht bitterer Duft zog durch den Raum, in dem außer dem Bett nur noch eine Truhe und ein Stuhl standen. An den Wänden allerdings hingen Teppiche, ein deutliches Zeichen für den Wohlstand des Hausherrn.
»Wenn ich gewusst hätte, dass Mathilde frömmer ist als die Beginen, die Barfüßer und die Dominikaner zusammen, hätte ich es mir überlegt mit der Heirat. Aber sie ist ein schönes Weib, und obwohl sie die Gebetsschnur unterm Kopfkissen liegen hat, vernachlässigt sie nicht ihre ehelichen Pflichten. Nur dass sie sich ständig bekreuzigt ...« Meister Henrich unterbrach sich und schloss vor Schmerz die Augen. Einen Moment schwieg er mit zusammengebissenen Zähnen, dann atmete er heftig aus. »Wenn ich es ihr mache, dann zeichnen ihre Hände schneller das Kreuz, als ich die Finger bewegen kann. Und das will was heißen. Und wenn ich meinen Samen spende, schaut sie drein, als hätte ich die Hostie ausgespuckt. Ich hoffe nur, dass meine Bemühungen bald von einer Leibesfrucht gesegnet werden. Verdammt!«
Er griff sich ans Bein, aber Raimund schob seine Hand beiseite. »Bald werdet Ihr wieder springen können, Meister Henrich. Wenn Gott es will.«
Henrich verzog den Mund und gab Raimund damit zu verstehen, dass Gott durchaus Gründe haben konnte, ihm ein wenig Pein zu bereiten.
»Lasst mich sehen.« Raimund wickelte den verkrusteten, schmutzigen Verband ab und warf ihn auf den Boden. Eine Fleischwunde zog sich von der Mitte der Wade bis unters Knie. »Wolltet Ihr Euch das Bein abtrennen?«
»Der verfluchte Stiel ist gebrochen. Kurz zuvor hatte ich die Axt anständig geschärft. Wie durch Butter ist sie in mein Bein. Zuerst habe ich gar keinen Schmerz gespürt ...«
»... und dann habt Ihr ein schmutziges Tuch darumgebunden«, ergänzte Raimund.
Meister Henrich nickte. »Am nächsten
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