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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Morgen hat es etwas wehgetan, und ein paar Stunden später dachte ich, ich muss sterben. Dann ließ der Schmerz wieder nach. Seither geht es auf und ab. Mal spür’ ich das Bein kaum, mal fühlt es sich an, als würde der Schmied seinen schwersten Hammer an mir ausprobieren.«
    »Und der Meister Chirurgicus hat Euch erzählt, dass Ihr die Wunde schön eitern lassen müsst«, ergänzte Raimund bitter. »Nichts für ungut. Aber da hätte er Euch auch gleich zum Kirchhof karren können. Ihr könnt von Glück reden, dass der Herrgott Euch wohlgesinnt ist. Ich habe schon Leute gesehen, die mit so einer Verletzung nach einem Tag tot waren. Vor allem, wenn sie derart falsch behandelt wurden. Eiter ist ein Saft des Teufels, er frisst sich in den Körper und tötet ihn von innen.«
    Henrichs Weib kam die Treppe heraufgerannt, hinter ihr die Magd. Raimund nahm ihr einen Humpen Bier aus der Hand und flößte ihn dem Kranken ein. Dann leerte er den zweiten Humpen selbst und fühlte sich sofort besser. Ein wenig von dem Wein schüttete er über das Bein.
    Henrich zuckte zusammen.
    »Gleich wird es richtig wehtun. Seid Ihr bereit?«
    Henrich setzte eine grimmige Miene auf und nahm das Beißholz in den Mund. »Schlimmer als ein Stuttgarter Schwert wird’s ja wohl nicht werden«, nuschelte er.
    Raimund nahm das Messer, tauchte es erst in das heiße Wasser, dann in den Wein. Mit vier schnellen Schnitten glättete er die Wundränder. Der Kranke verzog das Gesicht und stöhnte.
    Mit einem sauberen Lappen, den er vorher in den Wein getunkt hatte, tupfte Raimund den gelben Eiter aus der Wunde. Er prüfte den Kräuterbrei, brummte zufrieden und schmierte ihn in die Verletzung. Dann deckte er sie mit einem weingetränkten Streifen Leinen ab und wickelte das Bein fest ein, damit die Wundränder dicht beieinanderlagen.
    Meister Henrich stand der Schweiß auf der Stirn, seine Frau konnte gar nicht so schnell beten, wie ihr die Gebetsschnur durch die Finger lief.
    Raimund betrachtete sein Werk, nickte, faltete die Hände und sprach ein Dankgebet. »Gott, du bist der Herr über Leben und Tod. Vergib deinem unwürdigen Diener, der nur aus Nächstenliebe handelt und deine Wege nicht infrage stellt. Gib also dem Meister Henrich das Leben, oder nimm es ihm, wie es dir gefällt. Amen.«
    Dem Patienten gefiel das Gebet offensichtlich nicht, er kräuselte die Lippen, wiegte den Kopf langsam hin und her. Mathilde hatte in ihrem eigenen Gebet innegehalten, nickte stumm, erschrak und betete dann weiter.
    »Achtet auf den Schmerz«, sagte Raimund. »Er muss im Laufe des Tages abklingen. Es sollte nur ein leises Pochen zurückbleiben. Ich werde morgen nach Euch schauen. Seien wir guten Mutes, dass der Herr Euch noch nicht zu sich rufen möchte.«
    »Das möchte er hoffentlich nicht.« Meister Henrich grinste schief, spuckte das Beißholz aus und ließ den Kopf in das Kissen fallen. »Weib, bring mehr Bier. Wenn ich heute abberufen werden sollte, dann nur in bester Stimmung.«
    Mathilde schlug ein letztes Mal das Kreuz und trappelte die Treppe hinunter. Meister Henrich wandte sich Raimund zu und zog eine Goldmünze unter dem Kopfkissen hervor. »Ich danke Euch. Nehmt. Ihr habt es Euch verdient.«
    Schimmernd lag die Münze in Henrichs schwieliger Hand. Ein kleines Vermögen. »Ihr wisst, dass das viel zu viel ist.«
    Henrich lächelte. Sein Gesicht glänzte heiß im Fieber. »Raimund, Ihr beschämt mich. Wie soll ich meine Schuld je tilgen? Seid kein Narr. Nehmt. Ihr werdet es sicher brauchen können.«
    Raimund überlegte einen Moment und griff dann zu. »Ich werde es zur Seite legen.«
    Meister Henrich lächelte. »So ist es recht.«
    Raimund rückte seinem Patienten das Kissen zurecht und drückte ihn hinein. Der Braumeister schloss die Augen und war im selben Moment eingeschlafen.
    Mathilde kam mit dem Bier, sah, dass ihr Mann schlief, und stellte den Krug neben das Bett.
    Raimund versuchte ihren Blick zu erhaschen, aber sie wich aus, senkte den Kopf. Henrich hatte wahr gesprochen: Sie war ein schönes Weib. Nicht zu mager, nicht zu fett, ein Gesicht wie ein Engel, wenn auch im Augenblick ein wenig blass. Aber hinter dieser makellosen Stirn musste ein täglicher Kampf toben. Hin- und hergerissen zwischen den Pflichten, die Gott ihr als Henrichs Frau auferlegt hatte, und ihrer frommen Gesinnung. Eigentlich hatte sie ins Kloster gehen wollen, hatte Henrich ihm erzählt, aber ihr Vater hatte sie verheiratet sehen wollen, also hatte sie seinem Wunsch

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