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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Reisende hindurchmusste, wollte er den Neckar trockenen Fußes überqueren. Das Tor schützte die steinerne Pliensaubrücke, die in die Stadt führte, und war gut bewacht. Zu dieser frühen Stunde war es natürlich noch geschlossen. Raimund löste sich aus dem Dunkel, und schon rief ihn jemand an.
    »Halt, wer da?«
    Trotz des Mondlichtes konnte Raimund das Gesicht des Wächters nicht sehen, doch er erkannte ihn an der Stimme. Es war Claus, ein junger Mann aus der Beutau, dem nördlichen Stadtteil in der Nähe der Burg. An Claus kam niemand vorbei, es sei denn, er hatte einen sehr guten Grund oder einen ebenso gut gefüllten Beutel. Raimund besaß nichts dergleichen und doch mehr als genug, um jedes Esslinger Tor zu jeder Tages- und Nachtzeit passieren zu können. Er besaß die Erlaubnis des Rates, sich aus der Stadt zu entfernen, wann immer er wollte, schließlich musste er für seine Arbeit ständig eine große Anzahl an Kräutern und Heilpflanzen vorrätig haben, und so manches Kraut entfaltete seine Wirkung nur bei Vollmond.
    »Ich bin’s. Der Meister Hans. Seid Ihr wohlauf, werter Herr Claus?« Raimund schmunzelte. Der arme Claus. Hoffentlich erschrak er nicht zu sehr. Dem Henker des Nachts zu begegnen war etwa so erfreulich wie ein fettes Geschwür auf dem Hinterteil: eine wahre Strafe Gottes.
    »Gottlob, ja. Nichts plagt mich, außer dass ich Euretwegen das Tor öffnen muss. Wollt Ihr nicht lieber die Zeit bis Tagesanbruch im Wald verbringen?«
    »Warum nicht? Dann hätte ich viel Zeit, mir zu überlegen, welche Zipperlein ich Euch in der nächsten Zeit an den Hals hexen kann.«
    »Schon gut, schon gut.« Claus drehte sich um. »Tor auf!«
    Fluchend machten sich einige Männer daran, die schweren Sperrbalken vom Tor zu entfernen. Sie schoben den linken Flügel ein wenig auf, gerade so viel, dass Raimund hindurchkonnte, ohne anzustoßen.
    »Habt Dank, werte Herren, ich versichere Euch einen schnellen Tod, solltet Ihr mir auf dem Richtplatz begegnen.«
    Die Männer bekreuzigten sich, und Claus spuckte auf den Boden.
    Raimund eilte weiter. Fast gerade verlief die Straße durch die Pliensau, wo viele einfache Menschen in winzigen Hütten hausten, bis zu der Brücke, die diesen Teil der Stadt mit den übrigen Vierteln verband. Links vom Brückentor lag der Rossmarkt, dahinter, dicht an die Stadtmauer gedrängt, stand sein Haus, und ein Stück weiter unten hausten seine Knechte.
    Doch noch führte ihn sein Weg nicht nach Hause. Ohne Verzögerung durchschritt er das Brückentor, das nur in Kriegszeiten geschlossen wurde, und lief über die Innere Brücke. Beim Badehaus am Kosbühel begegnete ihm der Nachtwächter, der es vorzog, ihn nicht zu beachten. Dafür vertrieb der Duft nach würziger Seife und wohltuenden Ölen, der vom Badehaus herwehte, den Gestank des mit Fäkalien und Abfällen verpesteten Flusses. Gerne hätte Raimund sich dort einmal von den Bademägden verwöhnen lassen, aber das war nicht möglich. Die Stadt hätte es nach seinem Besuch entweder abreißen oder ihm zur alleinigen Benutzung überlassen müssen.
    Der Mann, zu dem er eilte, Meister Henrich, hatte sich vor einigen Jahren einen Wohnturm gekauft, wie ihn sonst nur die adligen Familien besaßen. Die Geschäfte gingen gut, er braute ein hervorragendes Bier, das sich weit über die Grenzen von Esslingen hinaus verkaufte. Ganz aus Stein war der Turm gemauert, vier Stockwerke hoch, die Wände wohl acht Fuß dick. Darin konnte man eine ganze Armee Stuttgarter abwehren. Aber den Brand im Bein des Meisters, den konnte niemand abwehren außer ihm, dem Henker, dem keiner die Hand geben wollte.
    Raimund bog in die Alte Milchgasse ein.
    Meister Anton, der Zimmermann, fluchte laut über seine Knechte: »Das nennt ihr anständig gestampft, ihr faules Pack? Da sind ja noch Klumpen drin, und das Stroh ist noch trocken. Ich sollte euch alle zum Tor hinausjagen lassen, ihr Nichtsnutze! Los jetzt, strengt euch an, oder ihr könnt euch euren Lohn an den Hut stecken!«
    Die Faulenzer zogen die Köpfe ein und begannen schneller und kräftiger im Kübel zu stampfen. Meister Anton hatte Fackeln aufstellen lassen, er war in Verzug, also arbeitete er auch des Nachts, ließ Lehm in die Fachwerke werfen, eine Arbeit, für die kein Tageslicht vonnöten war. Die Tagelöhner waren erschöpft, aber Meister Anton trieb sie weiter an.
    Viele neue Häuser wurden errichtet oder die alten umgebaut, Esslingen gedieh. Auch Raimund konnte nicht über fehlende Arbeit klagen: Mit

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