Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
Vom Netzwerk:
Tiere waren klug, sie durchschauten einen verlogenen Gottesmann vermutlich eher als die einfältigen Menschen, die sich leicht von einer Kutte und ein paar frommen Sprüchen blenden ließen.
    Säckingen wickelte den Leichnam des Mädchens in eine Decke. Dann schnürte er das Bündel hinter dem Sattel des Pferdes fest, das unruhig auf der Stelle tänzelte. Er ließ es rückwärtsgehen und verwischte mit einem langen Ast die Hufspuren.
***
    Melisande wehrte sich nicht. Sie wusste, dass sie gegen diese Arme keine Aussicht hatte. Und sie war froh darüber. Am liebsten wäre sie dem Henker vor Erleichterung um den Hals gefallen. Doch Raimund Magnus schien sich nicht zu freuen, sie zu sehen.
    Grob packte er sie am Arm. »Los, ab ins Haus! Und zieh dir die Kapuze über. Wir könnten beide tot sein, weil du eine kleine dumme, ungezogene Gans bist!«
    Er zog sie die zwei Stufen hinauf, fischte aus einem der Beutel an seinem Gürtel einen Schlüssel. Ohne ein Geräusch drehte sich der Schlüssel im Schloss, und die Tür schwang auf. Raimund stieß Melisande ins Innere und knallte die Tür zu.
    Nachdem Raimund die Läden geöffnet hatte, blickte Melisande sich neugierig um. Das dunkle Holz des Bodens, die rauchgeschwärzte Decke, die Balken, die aussahen, als würden sie schon seit Anbeginn der Zeit das Dach tragen, schienen das grelle Licht der Sonne aufzusaugen. In der Mitte des Hauses erhob sich ein Stützbalken, der so dick war, dass Melisande sich dahinter hätte verstecken können. An der rechten Seite, die zu den Schlafkammern wies, hing ein Schwert, das allerdings keine Spitze hatte, sondern gleichmäßig verlief und am Ende abgerundet war.
    »Das ist das Richtschwert?«, flüsterte sie.
    »Das ist es. Und ich hätte nicht übel Lust, es dir zu schmecken zu geben.« Er nahm sie in seinen stählernen Griff. »Melisande Wilhelmis, wenn du noch einmal nicht tust, was ich dir sage, dann werfe ich dich eigenhändig in den Neckar und sorge dafür, dass die Gewichte, mit denen ich dich behänge, so schwer sind, dass dich niemand herausholen kann. Das meine ich ernst. Du hast keinen blassen Schimmer vom Leben!«
    Seine Miene flößte Melisande Angst ein. Blaugrau leuchteten die Augen, wie der Stahl des Richtschwertes. Die Wangen waren angespannt, die Lippen ein schmaler Strich. So fest griff er sie am Arm, dass sie fürchtete, er würde ihr den Knochen brechen.
    »Ich werde nie wieder ungehorsam sein«, stotterte sie.
    Raimund ließ nicht locker. »Schwöre es. Schwöre es bei der Seele deines toten Vaters, Konrad Wilhelmis. Bei der Seele deiner toten Mutter, Beata Wilhelmis.«
    Die Namen fuhren ihr ins Herz wie die neunschwänzige Katze über den nackten Rücken eines Verurteilten. Sie wollte losrennen. Weg von diesem furchtbaren Mann, von diesen Augen, von denen es hieß, dass sie töten konnten. Weg aus diesem Haus des Todes.
    Raimund blieb hart. »Bei der Seele deines toten Bruders Rudger Wilhelmis und deiner Schwester Gertrud Wilhelmis. Schwöre. Jetzt.« Das letzte Wort knallte durch das Haus und hinterließ eine unheimliche Stille.
    Als er sie endlich losließ, taumelte sie zurück. Noch nie hatte sie eine Stimme gehört, die so kalt war wie die von Raimund, dem Henker, in diesem Augenblick. Doch sie konnte nirgendwo anders hin. Niemand würde die Bürde auf sich nehmen, die todgeweihte Tochter einer niedergemetzelten Familie aufzunehmen, die von einem der ruchlosesten Grafen der Gegend gesucht wurde. Wie betäubt hob sie die rechte Hand. »Ich, Melisande Wilhelmis ...« Sie stockte.
    »Weiter«, grollte Raimund und hob ebenfalls die Hand, als wolle er sie schlagen.
    »... schwöre, bei der Seele meines toten Vaters, Konrad Wilhelmis ...« Die Trauer drohte sie zu überwältigen, die Worte begannen zu zittern. Raimund aber ließ ihren Blick nicht los. Sie hob die Stimme. »... bei der Seele meiner toten Mutter Beata Wilhelmis, bei der Seele meiner toten Schwester Gertrud, der Seele meines toten Bruders Rudger und bei der Seele meines Bruders, der ohne Namen gestorben ist, nie wieder ungehorsam zu sein gegen Euch, Raimund Magnus, und ich erneuere meinen Schwur, Ottmar de Bruce, der meine Familie ermordet hat, zu töten.« Sie atmete stoßweise. »So wahr mir Gott helfe.«
    Raimunds Züge entspannten sich. »Gut, Melisande. Gut. Du musst dich von ihnen verabschieden. Du musst in jedem Moment deines Lebens wissen, dass du sie erst im Jenseits wiedertreffen wirst. Sonst wirst du keine Ruhe finden.« Er strich ihr sanft über

Weitere Kostenlose Bücher