Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
Vom Netzwerk:
beinahe abgeschlachtet worden. Er hatte Kinder auf seinen Kriegszügen gesehen, die einfach herumsaßen, nichts taten, nichts aßen, wie Hunde, deren Herrchen tot war. Aber Melisande würde es schaffen. In ein paar Tagen würde sie wieder lachen, und wenn sie bei ihrer neuen Familie war, irgendwo weit weg von Esslingen, dann würde sie schnell vergessen.
    Raimund deutete auf die zum Kamin hin gelegene Schlafkammer. »Das ist dein Platz. Am besten gehst du gleich hinein, dann kann dich niemand sehen, auch wenn er durch die Fensterläden hindurchspitzt. Ich habe zu arbeiten. Da ist ein verstockter Dieb, den ich überreden muss, die Wahrheit zu sagen.« Er leerte einen weiteren Becher Wein in einem Zug. »Das kann ein wenig dauern. Denn danach muss ich noch etwas erledigen. Und zünde weder Kerze noch Talglampe an, wenn es dunkel wird! Verstanden?«
    Melisande nickte.
    »Denk daran, du hast einen Schwur geleistet. Wenn du nicht gehorchst, bedeutet das unser beider Tod. Ist dir das klar?«
    Wieder nickte sie.
    »Gut.« Raimund nahm seinen Beutel, in dem alles steckte, um die Verletzungen zu versorgen, die er dem Dieb zufügen würde: Kräuterpaste, ein Stück gereinigter Schweinedarm und einige Streifen frisch gewaschenen Leinens.
    Die Sonne warf bereits lange Schatten, als er vor das Haus trat. Er nahm den Weg über die Innere Brücke, noch waren viele Menschen unterwegs. Ein Karren, beladen mit Broten, kam ihm entgegen, der Duft kitzelte seine Nase, obwohl er satt war.
    Raimund ging weiter, hielt den Kopf gesenkt. Er wollte diese Gesichter nicht sehen, die ihn entweder mit Abscheu, Entsetzen oder Angst anstierten. Manchmal wünschte er sich, einen von diesen Strohköpfen auf der Streckbank zu haben, damit er ihm Respekt einflößen konnte.
    Schon stand er vor dem Schelkopfstor und begehrte lauthals Einlass. Sofort öffnete sich die Tür. Ratsherr Konrad Sempach, ein kleiner, dicklicher Mann, kam die geschwungene Treppe hinabgeeilt, um ihn in Empfang zu nehmen, hinter ihm ging der Richter Henner Langkoop, dessen lange, spitze Hakennase schon so manchen Ganoven in Angst und Schrecken versetzt hatte.
    »Gut, dass du endlich da bist, Meister Hans«, begrüßte Langkoop ihn. »Ich hoffe, du ersparst uns weiteres Zuwarten. Nicht nur, dass dieser Nichtsnutz ein halbes Malter Mehl gestohlen hat, das dem ehrenwerten Jan Schepper gehört, nein, er ist auch zu feige, es zuzugeben. Er wurde gesehen, in seiner Hütte hat man Sack und Mehl gefunden und einen Scheffel, mit dem er das Mehl in kleinere Beutel gefüllt hat. Die hat er wahrscheinlich auch gestohlen.«
    Raimund nickte. »Seid unbesorgt, Herren. Bald wird er sich an alles erinnern. Mit Vergnügen werde ich seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.«
    »Wenn er gestanden hat, soll er sogleich die linke Hand verlieren, auf dass er nie wieder vergisst, dass man das Eigentum anderer nicht anrührt.« Konrad Sempach stemmte die Arme in die Hüften. »Richter Enders von den Fildern wird binnen kurzem da sein, damit wir ihn an Ort und Stelle verurteilen können.« Er drehte sich um. »Wo bleibt der Schreiber?«, brüllte er über seine Schulter, sodass es Raimund in den Ohren klingelte.
    Henner Langkoop schnaufte. »Der ist schon unten im Festsaal.«
    Raimund ging voran, zwei Büttel kamen dazu. Sie stiegen die Treppe zum Keller hinab, rechts befand sich ein Verlies, geradeaus ging es zum Festsaal, in dem Raimunds Werkzeuge warteten. Fünfzehn Mal zwanzig Fuß maß die Folterkammer. An der Wand gegenüber dem Eingang hingen verschiedene Zangen ordentlich aufgereiht, damit jeder Delinquent sofort sehen konnte, was auf ihn zukam. Die Streckbank glänzte frisch geölt; die Daumenschrauben, Brustreißer und die zwei Mundbirnen, gedacht zur Überdehnung der Kiefer, des Anus oder der Vagina, ergänzten die Ausrüstung. In einem Regal wiederum lagen verschiedene Utensilien, die die Beschuldigten nach der Befragung in einen Zustand versetzen sollten, in dem sie aussagen oder zumindest ihr Geständnis unterschreiben konnten. Besonders stolz war Raimund auf den Knochenspreizer, mit dem er offene Brüche richten konnte.
    Der Dieb saß bereits auf dem Thron, einem Stuhl aus Eisen, teuer in der Herstellung, dafür Furcht erregend ob seiner vielen Stacheln, der Hand- und Fußfesseln und dem Loch in der Sitzfläche, durch das spitze Metallstangen hindurchgestoßen werden konnten.
    Raimund kannte den Mann vom Sehen. Ein armer Tropf, der erst seit wenigen Monaten in der Stadt lebte, also kein

Weitere Kostenlose Bücher