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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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den Kopf und tupfte ihr mit einem Tuch die Tränen aus dem Gesicht. Seine Stimme war wie verwandelt. »Komm her. Schau es dir an.«
    Sie traten näher an den Balken heran, Raimund zeigte auf die Klinge, die matt silbrig schimmerte und aussah, als würde Wasser darin fließen. »Du siehst es, nicht wahr? Das Fließen der Klinge. Sie ist seit Generationen im Besitz meiner Familie. Ein Schmied aus dem Norden hat sie in monatelanger Arbeit gefertigt. Odin selbst soll ihm zur Seite gestanden haben. Kennst du Odin?«
    Melisande schüttelte den Kopf und strich vorsichtig mit einem Finger über die Schneide. Sie war vollkommen glatt. Die Wellen im Stahl schimmerten, kühlten die Hitze in ihrem Kopf.
    »Sei vorsichtig. Du merkst gar nicht, wenn sie dir einen Finger abtrennt.«
    »Sie?«
    »Nerthus. Sie heißt Nerthus.«
    »Ist das der Name deiner Frau?«
    Raimunds Nasenflügel zuckten. »Nein. Obwohl er zu meiner Frau gepasst hätte. Die Göttin Nerthus brachte Frieden und Gerechtigkeit unter die Menschen. Eine alte Sage der Heiden aus dem Norden.« Er lachte verlegen. »Du kennst doch Sagen?«
    »Ja. Und die von Rittern lese ich am liebsten.« Sie reckte sich und berührte den Griff. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Ein Bild erschien vor ihrem Inneren: De Bruce, der vor ihr kniete, die Augen verbunden. Sie hob Nerthus an. Dieses Schwert würde ihr Frieden bringen, in dem Moment, in dem der Kopf dieses Ungeheuers vor ihre Füße rollte wie ein fauler Apfel. Sie schloss die Augen. Das Bild wurde stärker und stärker. Immer wieder hob sie das Schwert und ließ es niedersausen, der Kopf rollte, die Menge jubelte, und sie war endlich frei.
    Von weitem drang Raimunds Stimme zu ihr. »Was hast du, Kind?«
    Sie erwachte aus ihrem Traum.
    »Es braucht jahrelange Übung, um mit diesem Schwert saubere Arbeit leisten zu können«, erklärte Raimund. »Jeden Tag. Du brauchst Kraft, Schnelligkeit und Überzeugung. Manche Verurteilte ziehen im letzten Moment den Kopf weg. Dann musst du schneller sein, den Hieb korrigieren. Am liebsten würdest du Ottmar de Bruce eigenhändig mit dem Schwert richten, ist es nicht so?«
    Melisande nickte.
    »Schlag es dir aus dem Kopf. Du wirst ihn nicht besiegen. Und das Richtschwert darf nur von einem Mann geführt werden, einem unreinen noch dazu. So will es das Gesetz.«
***
    De Bruce schwitzte, der Morgenstern kreiste über seinem Kopf, er schlug zu, das Brett, das einen Schild ersetzen sollte, zersplitterte.
    Der Waffenmeister trat zu ihm hin. »Das war sehr gut! Ihr solltet im Kampf allerdings den Morgenstern nicht so lange kreisen lassen. Das ist anstrengend und gibt dem Gegner zu viel Zeit nachzudenken. Ihr müsst zuschlagen wie ein Falke.«
    De Bruce nickte grimmig. Ein neues Brett wurde angebracht, wieder ging er in Stellung. Der Waffenmeister trat zur Seite und hob nach einigen Momenten den Arm. Der Morgenstern schoss nach oben, de Bruce drehte sich einmal um die eigene Achse und traf das Brett mit voller Wucht. Ein Knappe sammelte die Einzelteile auf.
    »Hervorragend«, lobte der Waffenmeister. »Genau so ist es richtig. Wollt Ihr nun die Verteidigung gegen einen Angriff mit dem Morgenstern üben?«
    »Ja, das will ich«, erwiderte de Bruce schwer atmend. Solange er kämpfte, hatte er keine Zeit nachzudenken, über sein Versagen, über das kleine Miststück, das ihm gestern durch die Lappen gegangen war.
    De Bruce griff gerade seinen Schild, als vom Tor her die Stimme des Wächters herüberschrillte. »Herr! Von Säckingen ist zurück. Er hat etwas mitgebracht.«
    Ohne Zögern warf de Bruce den Schild weg, riss sich den Helm vom Kopf und rannte seinem Hauptmann entgegen. »Ich will nur eins hören!«, rief er.
    Von Säckingen ließ sich vom Pferd gleiten, knüpfte ein Bündel von seinem Sattel und breitete es auf dem Boden aus. »Bedauerlicherweise hat Bruder Eusebius sie vor uns gefunden«, berichtete er. »Er hat wohl seinen Spaß mit ihr gehabt. Zu dumm, dass er von ihrem Gesicht nicht viel übrig gelassen hat.« Er deutete auf das blutige Bündel. »Dennoch muss sie es sein. Er hat mir seine Geschichte erzählt. Alles passt.«
    De Bruce rieb sich das Kinn, kratzte sich am Kopf, stupste die Leiche mit dem Fuß an. »Das könnte sie sein«, murmelte er nachdenklich. »Die Haarfarbe stimmt. Die Größe. Das Alter. Sie hat auch so einen Bauernfetzen getragen. Ja, sie könnte es sein. Könnte! Aber was, wenn sie es nicht ist?«
    Von Säckingen schwieg.
    De Bruce überlegte. Wenn das

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