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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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es seinem Vater wirklich ernst zu sein. Im Gegensatz zu den Vätern seiner Freunde war Erhard Füger ein Mann, der nicht nur Fehler anprangerte, sondern auch großzügig mit Lob umging. Aber gleich zweimal ein so großes?
    »Ich will nicht lange drum herumreden. Ich habe eine Frau für dich! Sie ist sechzehn, bildhübsch, gescheit, und sie wird uns das Wagenriet einbringen, den oberen Südwesthang am Echentzenberg. Eine einzigartige Lage.«
    Wendel wusste sofort, von wem die Rede war. Sie hieß Engellin, und ihr Name stand für ihr Wesen. Keine Frage, eine gute Partie. Aber Wendel wollte keinen Weinberg heiraten und keinen gefügigen Engel, sondern die Frau, die er liebte. So wie es in den Versen beschrieben wurde, die er manchmal las.
    Nachtigall, sing ein Lied mit Kunst
    für meine edle Königin!
    Verkünde ihr, dass mein fester Sinn und mein
    Herze brennen
    nach ihrem süßen Leib und nach ihrer Liebe!
    Unsterbliche Liebe. War sie erst einmal entbrannt, konnte man an nichts anderes mehr denken als an das zauberhafte Wesen, das einem das Herz entflammt hatte. Und dieses Wesen war ihm bisher noch nicht begegnet.
    »Vater, ich weiß, dass es an der Zeit ist. Und Engellin ist eine treffliche Wahl. Aber ich glaube nicht, dass ich mit ihr glücklich sein kann, denn ich liebe sie nicht.«
    Die Augen seines Vaters verdunkelten sich. »Die Zeit ist abgelaufen. Seit vier Jahren lehnst du eine Braut nach der anderen ab. Jetzt ist Schluss damit. Der Vertrag ist bereits geschlossen. Wenn die Ernte eingebracht ist und die Trauben im Fass sind, wirst du heiraten, und du wirst es nicht bereuen. Das schönste Mädchen Reutlingens wirst du heimführen.«
    Wendel senkte den Blick. Sein Vater hatte zweifellos Geduld gezeigt, mehr als die meisten Väter an seiner Stelle, ja sogar gegen seine Frau hatte er sich durchgesetzt, die Wendel schon längst verheiratet hätte. Es war an der Zeit, ein dankbarer Sohn zu sein. Er seufzte einmal tief, hob den Kopf und schaute in Erhard Fügers angespanntes Gesicht. »Du hast wahr gesprochen, Vater.«
    Erhards Miene entspannte sich, dann verzogen sich die Lippen zu einem breiten Grinsen. »Das heißt, du willigst ein?«
    Wendel schluckte. Das Strahlen im Gesicht seines Vaters war so echt, so überglücklich. Er brachte es nicht über das Herz, ihn zu enttäuschen. »Wie könnte ich dir diesen Wunsch abschlagen? Und Engellin ist in der Tat ein ganz besonderes Mädchen. Die Liebe wird schon kommen, wenn wir erst als Mann und Weib vereint sind. So wie bei dir und Mutter.«
    Fast blieb Wendel die Luft weg, als ihn sein Vater umarmte. Es ist ja noch fast ein halbes Jahr bis dahin, dachte er. Da fließt noch eine Menge Wasser die Echaz hinunter.
***
    Raimund lächelte und strich Melisande mit der Hand über das Haar. Sie drückte ihm einen Kuss auf die inzwischen fast kahle Stirn, nahm das Richtschwert vom Haken und machte sich auf den Weg. Draußen wartete schon eine Horde Kinder, die johlend dem Henker folgte. Wie so oft probten die Kleinen ihren Mut. Wer trat am nächsten an den Henker heran? Wer traute sich, ihm fest in die Augen zu sehen? Wer war so todesmutig, ihn anzusprechen?
    An diesem Sommertag hielt sich der Wagemut der Gören allerdings in Grenzen. Sie zogen es vor, in sicherem Abstand immer wieder ein paar Schritte vorzulaufen, um sich dann zurückfallen zu lassen und ein Stück hinter dem Mann mit dem bunten Gewand und der dunklen Kapuze herzurennen, wie eine Meute unsicherer Hunde.
    Melisande hatte sich längst daran gewöhnt. Anfangs hatte sie versucht, die Kinder zu verscheuchen, aber sie waren anhänglicher als Schmeißfliegen. Sie anzufassen war ihr unter Strafe verboten. Also beschränkte sie sich darauf, von Zeit zu Zeit stehen zu bleiben oder einen schnellen Schritt nach vorne zu machen, jeweils gefolgt vom ängstlichen Quietschen der Kinderschar. Aber heute war ihr nicht nach Possen zumute. Bald würde sie einem Menschen das Haupt abschlagen, und das war keine Kleinigkeit. Keine Frage, der Unhold verdiente den Tod. Dennoch, den Tod gutzuheißen und den Tod zu bringen, das waren zwei Paar Schuh. Zumal man saubere Arbeit von ihr erwartete. Der Hieb durfte nicht fehlgehen, der Kopf musste nach dem ersten Schlag über den Richtplatz rollen. Der Henker hatte im Falle seines Versagens nicht nur seinen Ruf zu verlieren, sondern, wenn die Menge übel gelaunt war, auch sein eigenes Haupt.
    Der Rat hatte die Gerichtsversammlung auf den Markt verlegt. Der Gerichtssaal im Schwörhof wäre aus

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