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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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die Nase, auf der ihre rituelle Entschuldigung für das stand, was sie ihm antun musste, und legte ihm die Augenbinde an. Sie trat einen Schritt zurück, schwang das Schwert in einem Halbkreis über ihrem Kopf, drehte sich in der Taille und ließ die Klinge durch die Luft zischen.
    Mintrops dünner Nacken leistete nur wenig Widerstand. Mit einem schmatzenden Geräusch trennte das Schwert den Kopf vom Hals, so sauber, wie ein scharfer Dolch durch Butter schneidet.
    Ein Raunen ging durch die Menge, das Blut spritzte fast zwölf Fuß weit, dann begannen die Leute zu klatschen und zu johlen. Mintrops Haupt war vor die Tribüne gerollt und lag im Dreck, die Augen in den Himmel gerichtet.
    Mit einem Nicken veranlasste sie, dass Mintrops Leichnam an den Galgen geknüpft wurde, den Kopf steckte sie auf einen Eisendorn. Die Leiche stank erbärmlich. Im Sterben hatte der Mann Blase und Darm entleert, so wie das alle taten, die so plötzlich vor ihren himmlischen Richter treten mussten.
    Auf der Tribüne lichteten sich die Reihen, auch der Pöbel wogte zurück zum Marktplatz, wo er die Hinrichtung mit Tanz und Trunk feiern würde. Niemand schenkte dem Henker noch Beachtung, er hatte seine Schuldigkeit getan und wieder einmal bewiesen, dass er der beste weit und breit war. Vergessen war der kurze Augenblick, in dem er scheinbar ein anderer gewesen war, verträumt in Richtung Tribüne gestarrt hatte, als sähe er dort etwas, was den anderen verborgen blieb.
    Melisande atmete auf. Endlich konnte sie zurück nach Hause, zu Raimund und dem einen oder anderen Humpen Bier, der ihr helfen würde, nicht nur die Schrecken der Hinrichtung zu vertreiben, die Schrecken des Todes und des Tötens, sondern auch die Schrecken der Gefahr, in die sie sich selbst mit ihrer albernen Schwärmerei gebracht hatte.
    Melisande warf einen Blick in den Himmel, wo sich düstere Gewitterwolken ballten, bereit, der schwülen Hitze ein Ende zu machen. Es war Zeit aufzubrechen. Sie drehte sich um und erstarrte. Das Pferd, die Rüstung, das Gesicht. Ottmar de Bruce lächelte ein Lächeln, das vermutlich nur einer außer ihm selbst beherrschte: der Teufel.
    Melisande wagte kaum zu atmen. Im Traum erschien ihr der Graf fast jede Woche, aber leibhaftig war er ihr seit dem Überfall nie wieder begegnet. Sie hatte ihn einige Male aus der Entfernung gesehen, wenn er mit seinem Gefolge in die Stadt geritten war, um Geschäfte zu tätigen. So nah wie jetzt war er ihr jedoch seit jenem Tag auf der Lichtung nicht gewesen. Ihre Kehle zog sich zusammen. Hatte de Bruce der Hinrichtung zugesehen? Hatte er sie erkannt? Hatte er in dem winzigen Augenblick, in dem sie Adalbert angehimmelt hatte, das kleine Mädchen gesehen, das er seit fünf Jahren jagte? Ihr Schwert lehnte am Galgen, außer Reichweite. Wenn er sie töten wollte, hatte sie nichts als ihre bloßen Hände, um sich zu wehren.
    De Bruce nahm seinen Bihänder vom Rücken und glitt vom Pferd. Er lächelte immer noch, wie er gelächelt hatte, als er ihre Mutter aufgeschlitzt hatte. Melisande konnte sich nicht bewegen. De Bruce kam auf sie zu, hob das Schwert hoch über seinen Kopf.
***
    Raimund schrak zusammen und riss die Augen auf. Sein linker Arm zuckte, und sein Herz raste, als sei er auf der Flucht vor einer Bande Wegelagerer. Durch den geöffneten Vorhang sah er, dass sich dunkle Wolken vor die Sonne geschoben hatten. Es musste längst Mittag sein, und Melisande war noch nicht zurückgekehrt. So lange konnte die Hinrichtung doch nicht dauern. Ob sie den Schlag nicht richtig geführt hatte? Wie oft hatten sie es geübt! Wie oft hatte Raimund die Verzweiflung gepackt. Wie sollte so ein zartes Wesen ein Richtschwert führen und die Kraft aufbringen, einem Mann den Kopf abzuschlagen? Mit einem einzigen Hieb, so wie es Richter, Volk und Gesetz verlangten?
    »Sei nicht albern«, schalt er sich selbst. »Sie hat es gelernt. Sie führt das Schwert, als sei es ein Teil ihres Arms. Sicher ist sie noch ins Wirtshaus gegangen, um die Dämonen zu vertreiben. Hast du das nicht selbst auch immer getan?«
    Er schloss die Augen und ließ sich treiben, tauchte ein in seine Erinnerungen, wie so oft, wenn er seinen Körper verfluchte, der ihn im Stich gelassen hatte. Er war eingesperrt in dem schlimmsten Kerker, den er sich vorstellen konnte. Warum hatte Gott ihn so furchtbar gestraft? Oder sollte es eine Prüfung sein? Er wusste es nicht.
    Der Tag, bevor sein Körper zusammengebrochen war, war kalt gewesen. Der Januar war

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