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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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liefen, und war zufrieden mit der Arbeit ihrer Knechte, die nicht nur die Latrinen zu säubern, sondern auch die Gassen von allzu viel Dreck freihalten mussten. Der Esslinger Rat hatte schon lange verfügt, dass in der inneren Stadt keine Schweine und Rinder mehr gehalten werden durften, dafür gab es die Pliensau und die Allmende vor dem Oberen Tor. Die Bürger hatten gemurrt, aber als sie feststellten, dass ihre Trippen nicht mehr bis zu den Sohlen im Kot der Tiere versanken und die Frauen an manchen Tagen ihre schönsten Schuhe tatsächlich ohne diese lästigen Holzgestelle präsentieren konnten, war der Widerstand abgeebbt. Heute maulten sie schon, wenn die Gassen sich gelegentlich in schmierige Rutschbahnen verwandelten. Das war jedoch nicht zu vermeiden, denn die meisten Bürger kippten ihre Notdurft und ihre Abfälle nach wie vor auf die Straße, und die Kotfeger konnten nicht immer und überall zur Stelle sein.
    Der Büttel ließ Melisande am Schelkopfstor den Vortritt, das Eichenportal schwang auf, sie stiegen die Treppe hinab und betraten den Festsaal.
    Außer der Delinquentin waren nur Konrad Sempach und ein Schreiber anwesend. Die Frau war auf dem Thron festgeschnallt, ihr Kopf lag auf der Brust, als würde sie schlafen, doch Melisande roch den Angstschweiß und sah das Beben ihrer Schultern.
    »Weib!«, donnerte Sempach. »Heb den Kopf, damit du Meister Hans guten Tag sagen kannst.«
    Tatsächlich kam die Frau dem Befehl des Ratsherrn nach, ihr Kopf hob sich ein wenig, aber sie entbot Melchior keinen Gruß. Ein Auge war zugeschwollen und blau unterlaufen, Blut sickerte aus einer Platzwunde an der Augenbraue. Die Verletzungen waren frisch. Das Kleid starrte von Dreck und verkrustetem Blut. Das unversehrte Auge huschte zwischen Sempach und Melchior hin und her.
    »Sie hat ihr Kind getötet!« Sempach zeigte auf ein Bündel auf dem Tisch.
    Vorsichtig wickelte Melisande es auf. Sie unterdrückte einen Aufschrei und stützte sich mit einer Hand ab, damit ihr nicht die Beine wegknickten. Ein blutverschmiertes Wesen kam zum Vorschein, winzige Hände und Füße, das starre Gesicht war blau angelaufen, die Nabelschnur hing noch an dem kleinen Bäuchlein.
    »Sie ist eine Kindsmörderin! Ihr eigenes Fleisch und Blut hat sie erstickt.« Sempach schrie heraus, was Melisande sogleich erkannt hatte. Seine Stimme überschlug sich. »Zeig keine Gnade!«
    Heiße Wut stieg in Melisande auf, so plötzlich wie ein Gewitter und ebenso vernichtend. Der Teufel leibhaftig musste in diese Metze gefahren sein. Sie hatte ein unschuldiges, hilfloses Wesen getötet – so wie de Bruce ihren kleinen Bruder getötet hatte. Wie de Bruce, dachte Melisande. Wie de Bruce.
    Sie legte eine Kneifzange in die Glut, bis diese rot glühte, hielt sie der Mörderin vor die Nase. Die fing an zu schreien, ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, doch kein verständliches Wort kam über ihre Lippen. Stattdessen versuchte die Frau, ihre Fesseln zu sprengen und sich aus dem Stuhl zu winden. Erst als sie merkte, dass sie sich vergebens abmühte, sackte sie in sich zusammen. Aber das bedeutete nicht, dass sie gleich gestehen würde. Im Gegenteil.
    Melisande ahnte, dass es nicht leicht werden würde. Frauen konnten Schmerzen viel besser ertragen als Männer. Sie waren sogar in der Lage, einfach zu sterben, auch wenn sie nicht tödlich verletzt waren – wie Tiere, die wussten, dass sie verloren waren und sich mit dem Tod weitere Qualen ersparten. Das aber durfte keinesfalls geschehen. Diese Mörderin musste öffentlich verurteilt und hingerichtet werden. Wenn sie unter der Folter starb, müsste sich Melisande vor dem Rat rechtfertigen. Sie musste also ihre Wut im Zaum halten und mit Bedacht vorgehen, wie sie es von Raimund gelernt hatte.
    »Gesteh, Metze, und du wirst einen schnellen Tod sterben!«, rief Sempach. Er klang nicht überzeugend. Grinsend fügte er hinzu: »Unser stummer Hans ist ein Meister seines Faches, glaube mir.«
    Die Frau schwieg.
    Sempach verschränkte die Arme vor der Brust. »Gut«, sagte er. »Ich habe Zeit.« Und mit einem Blick in Richtung Melisande ergänzte er: »Und alle Vollmachten des Rates. Der wird seine Zeit nicht mit einem verstockten Weib verschwenden. Wenn ich ihm mitteile, dass du bereit bist zu gestehen, werden die übrigen Richter dazukommen.«
    Melisande nickte und ritzte mit dem Griffel eine Frage auf ihre Tafel. »Habe ich alle Freiheiten?«
    Sempach zog die Augenbrauen hoch. »Gibt es etwas, das ich noch nicht

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