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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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dürfen. Du warst für sie verantwortlich.« Streng musterte er Melisande, die den Blick senkte und wortlos nickte.
    »Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich dich heute rufen ließ«, fuhr der Alte fort. »Dein Prozess muss warten. Es gibt Arbeit, deine Dienste werden gebraucht.«
    Überrascht und erleichtert zugleich hob Melisande den Kopf. Das verschaffte ihr die Zeit, ihren Plan doch noch auszuführen.
    Enders von den Fildern ging voran die steile Treppe in den Keller hinab, Melchior folgte, Konrad Sempach lief am Schluss. Vor dem Kerker warteten ein weiterer Richter, Henner Langkoop, und der Schreiber. Der Beschuldigte saß bereits auf dem Thron und starrte mit trotzigem Blick auf seine Fußspitzen.
    Melisande stockte, der junge Mann kam ihr bekannt vor, doch sie erinnerte sich nicht, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Ihr blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Konrad Sempach war bereits vorgetreten, um ihn zu befragen.
    »Wie ist Euer Name?«, herrschte er den Gefangenen an.
    »Wendel Füger, Sohn des Erhard Füger, Karcher und Weinhändler aus Reutlingen, das sagte ich doch bereits.« Er klang widerspenstig, beinahe überheblich. Entweder hatte er den Ernst seiner Lage noch nicht begriffen, oder er war vollkommen furchtlos. Aber das würde ihm sehr bald vergehen.
    »Wisst Ihr, was man Euch vorwirft, Wendel Füger?« Konrad Sempach verschränkte die Arme und funkelte den Karcher an.
    Der schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Aber was auch immer es ist, bestimmt handelt es sich um einen Irrtum. Oder um eine Kleinigkeit, die sich schnell aus der Welt schaffen lässt.« Er blickte auf den Boden, wo man seine Habseligkeiten abgelegt hatte: einen Gürtel mit einer leeren Messerscheide, einen teuren Surcot aus Samt und einen prall gefüllten ledernen Beutel.
    Sempach lachte auf. »Aus dieser Sache könnt Ihr Euch nicht herauskaufen, Karcher. Hier in Esslingen herrschen Recht und Gesetz.« Er trat einen Schritt vor und stemmte die Hände in seine fetten Hüften. »Wendel Füger aus Reutlingen, Euch wird vorgeworfen, in der letzten Nacht den Benedikt Rengert, Sohn des Jobst Rengert, eines ehrwürdigen Wengerter zu Esslingen, heimtückisch ermordet zu haben.«
    Wendel Füger wurde schlagartig weiß wie ein Leintuch, sein Kinn klappte herunter, und seine Hände begannen zu zittern. Er schüttelte den Kopf und bewegte die Lippen, doch seinem Mund entfuhr kein Laut.
    »Ihr habt dem Burschen in der Strohgasse aufgelauert und ihm die Kehle aufgeschlitzt. Und damit nicht genug. Mehr als ein Dutzend Mal habt Ihr auf den armen Jungen eingestochen. Seine Kleider waren blutdurchtränkt, er sah aus, als wäre er von einem wilden Tier angefallen und zerfleischt worden. Benedikts arme Mutter ist zusammengebrochen, als man den Leichnam zu ihr nach Hause trug.«
    »Das war ich nicht!«, stieß der Karcher hervor.
    »Ihr leugnet?«
    »Ich war es nicht«, wiederholte der Mann. In seiner Stimme schwang Empörung mit.
    Der Schreiber kritzelte, als ginge es um sein Leben und nicht um das des Karchers. Henner Langkoop stand mit ausdruckslosem Gesicht neben ihm und rieb sich seine lange, dünne Nase, Enders von den Fildern hatte nachdenklich die Stirn gerunzelt. Sempach aber schritt zu dem kleinen Tisch, auf dem zuletzt Agnes’ toter Säugling gelegen hatte, und nahm einen Gegenstand herunter, den er dem Mörder unter die Nase hielt. »Kennt Ihr das?«
    Der Mann blinzelte erschrocken. Seine Wangen wurden noch bleicher. »Mein Messer«, flüsterte er.
    »Ja, das ist Euer Messer. Euer Name ist in den Griff eingraviert. Ihr habt es neben dem Leichnam liegen lassen. Das war nicht besonders klug von Euch.«
    »Aber –«, wandte der Mann ein.
    »Aber was?«, brüllte Sempach.
    »Man hat mir das Messer gestohlen.«
    Wieder lachte Sempach auf. Es war ein hässliches Lachen ohne jede Freude.
    Unwillkürlich zuckte Melisande zusammen, ebenso wie der Karcher, der stumm den Kopf schüttelte. Noch immer fiel ihr nicht ein, woher sie ihn kannte. Doch ihr Gefühl sagte ihr, dass es wichtig war. Erinnere dich, Mel, ermahnte sie sich, erinnere dich!
    Der Mann hob den Kopf erneut. Ihre Blicke trafen sich, und da kehrte die Erinnerung zurück, Bild für Bild. Die Brache. Ottmar de Bruce. Das war der fremde Karcher, der de Bruce begleitet hatte, als sie sich mit ihm zur Kampfstunde getroffen hatte. Und noch etwas fiel ihr ein. Etwas, das ihr den Boden unter den Füßen wegzog.
    Auch Wendel Füger schien sie erkannt zu haben. In seinem Blick

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