Henkersmahl
er die halb geöffnete Schublade des kleinen Schränkchens zu, das unter dem Schreibtisch stand. Jana drehte sich erschrocken um. Ihre Augen waren rot und verquollen.
»Was machst du denn hier?« Überrascht sah sie ihn an.
»Wollte mich nur mal ein bisschen umsehen.«
»Das wollte ich auch. Glaubst du, dass Max an Herzversagen gestorben ist?«
»Nicht wirklich.« Florian merkte, wie eine Gänsehaut seinen Körper überzog. Für den Bruchteil einer Sekunde verspürte er den Impuls, Jana in den Arm zu nehmen, aber es kam ihm unpassend vor, und so ließ er es bleiben.
Jana kam näher. »Und, was gefunden?«
Florian sog tief die Luft ein, aber er roch nichts. Auf ihr Parfum schien sie heute verzichtet zu haben. Aus Pietät vermutlich. Ob das alle Frauen so handhabten, wenn jemand gestorben war? Er wischte den Gedanken schnell beiseite, Jana hatte heute früh ja noch gar nichts von Max’ Tod gewusst.
»Nur die Adresse des Toten aus ›Köln-Ehrenfeld‹«, sagte sie und unterbrach seine Gedanken.
»Die habe ich Max gestern noch gegeben. Sonst nichts?«
»Nein. Aber ich vermisse seinen Laptop.«
»Wenn er nicht hier ist, finden wir ihn bestimmt bei ihm zu Hause«, sagte Jana. »Übrigens, die Substanz, die im Magen der Erkrankten nachgewiesen wurde, ist ein Glutamatderivat.«
Florian starrte Jana ungläubig an.
»Das ist die neue Form eines Geschmacksverstärkers.« Jana fingerte ein Taschentuch aus ihrer Jeanstasche und schnäuzte hinein.
»Wie machst du das eigentlich?«
»Was?«
»Ich meine, wie kommst du in fremde Computer?«
»Ach, da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Oft brauchst du gar nicht mehr in die Computer, also auf die Festplatten. Am einfachsten funktioniert es direkt über das Internet. Du musst dir das so vorstellen: Viele Unternehmen häufen so viele Daten an, dass sie manchmal gar nicht mehr wissen, was sie wo abgelegt haben. Unzählige Menschen arbeiten damit, die Daten werden ergänzt, korrigiert, versehentlich falsch gespeichert, ohne dass es bemerkt wird, und unendlich oft intern und extern verschickt. So sind häufig ungewollt mehr Informationen über das Internet zugänglich, als die Anwender auch nur im Geringsten ahnen.«
Florian zog die Augenbrauen hoch und Jana setzte ihren Vortrag fort: »Hacken war gestern, heute reicht in der Regel schon gekonntes Suchen im World Wide Web. Darüber sind sich alle Experten einig. Ein Beispiel. Kürzlich erst gelangten durch einen Anwenderfehler geheime Konstruktionszeichnungen einer im Bau befindlichen US-Botschaft ins Internet.«
»Tatsächlich?«
»Ja.«
»Eine immer wieder auftauchende Dummheit ist beispielsweise, dass Daten an Stellen gespeichert werden, wo sie nichts zu suchen haben, zum Beispiel auf der Festplatte des Webservers. Selbst wenn du also auf der offiziellen Webseite nichts siehst, ist oft doch etwas im Hintergrund vorhanden.«
»Und wie kommt man da dran?«
»Du brauchst nur die richtige Suchmaschine, und schon wirst du fündig.«
»Und woher weiß ich, welche das ist?«
»Das verrate ich dir leider nicht.« Jana lächelte verschmitzt und sagte bestimmt: »Außerdem ist die Lektion nun beendet.«
»Fortsetzung folgt?«
»Vielleicht später irgendwann. Lass uns erst einmal von hier verschwinden.«
Florian nickte und nahm sein schwarzes Jackett, das er über die Stuhllehne gehängt hatte. »Ins Maybach?«
»Gut, da ist um diese Zeit nicht so viel los.«
Florian folgte Jana über den Flur. Ihr Gang erinnerte ihn an seine Katze, wenn sie mit erhobenem Haupt vor ihm her über den langen Wohnungsflur lief. Mit einem Seitenblick registrierte er, dass das Foto von Jörn Carlo nicht mehr an der Wand hing. Vielleicht regierte doch nicht in erster Linie Geld, sondern Eitelkeit die Welt.
Nach wenigen Minuten waren sie bereits im Restaurant Maybach angekommen, das am Ende der Mediapark-Grünfläche im Direktionsgebäude des ehemaligen Kölner Güterbahnhofs lag und mit seinen weitläufigen Räumlichkeiten ein angenehmes Großstadtflair verbreitete. Im Sommer genoss Florian es, im Biergarten sitzen zu können, der sich großer Beliebtheit erfreute. Nicht zuletzt wegen der guten Küche und der ansprechenden Weinkarte. Heute war es im Maybach so gut wie leer, die Leute vom benachbarten Kölner Filmhaus und die Mitarbeiter aus den Unternehmen rund um den Mediapark waren offensichtlich noch nicht in der Mittagspause. Florian und Jana nahmen an einem Ecktisch Platz. Es waren nur zwei weitere Tische besetzt, und die waren weit
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