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Henkersmahl

Henkersmahl

Titel: Henkersmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bärbel Böcker
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Entscheidung getroffen, ein Kind in die Welt zu setzen und es allein großzuziehen. Sämtliche Erinnerungen an Florians Vater hatte sie vernichtet. Es existierten keine Fotos, und Marie-Louise erwähnte nicht einmal seinen Namen. Sie hatte damals noch am Anfang ihrer Schauspielerkarriere gestanden, verdiente aber bereits sehr gut und konnte es sich leisten, ihr Kind auch ohne die finanzielle Unterstützung eines Mannes aufzuziehen. Bald nachdem sie sich von Florians Vater getrennt hatte, hatte sie ihn vergessen, das behauptete sie jedenfalls, und Verehrer hatte sie immer mehr als genug. Ihre gesellschaftlichen Kontakte zogen sich nicht zuletzt deswegen bis heute quer durch die Republik.
    Florian fühlte sich auf einmal müde. Ihm war längst klar, dass er bei seiner Mutter mit der Frage nach dem Vater auf Granit biss und ärgerte sich darüber, dass er es trotzdem immer wieder probierte. Wenn er wirklich etwas über ihn in Erfahrung bringen wollte, musste er sich schon etwas anderes einfallen lassen.
    Florian seufzte und folgte seiner Mutter hinüber zur Couch. Im Hintergrund spielte leise Musik, ein Violinkonzert von Mendelssohn Bartholdy. Anna kam herein und brachte mit dem Espresso auch das Telefon. Sie hielt Florians Mutter, die fragend aufschaute, den Hörer hin. »Frau Kilian ist am Apparat. Sie sagt, es sei dringend.«
    »Dann geben Sie mal her.« Marie-Louise Halstaff nahm, etwas unwillig über die Störung, den Hörer entgegen.
    Florian war gerade im Begriff, ein Stückchen braunen Zucker in die Tasse zu geben und horchte nun auf. Normalerweise rief niemand mehr nach 22 Uhr bei seiner Mutter an. Sie hasste es, so spät gestört zu werden, und eigentlich musste dies doch ihrer besten Freundin in jedem Fall bekannt sein. Die beiden kannten sich aus der gemeinsamen Schulzeit. Was konnte so dringend sein, dass sie sich um kurz nach halb elf hier meldete?
    »Oh Gott, das ist ja furchtbar«, hörte Florian seine Mutter sagen. Sie sah auf einmal sehr blass aus und starrte Florian mit schreckgeweiteten Augen an.
    »Marianne, um Himmels willen, wie konnte das passieren? Das darf doch nicht wahr sein!«
    Florian spürte, wie Angst in ihm hochkroch.
    Seine Mutter sackte in sich zusammen. Sie hörte ihrer Freundin am anderen Ende der Leitung einen Moment zu, bevor sie entschied: »Ich komme zu dir. Sofort.« Marie-Louise Halstaff ließ den Hörer in ihren Schoß sinken und drückte langsam auf den Ausknopf. Sie sah Florian lange an und flüsterte: »Max ist tot.«

     

     

     

10
    Florian konnte es nicht glauben, Max sollte tot sein? Sein Freund Max, den er von Kindesbeinen an kannte? Als seine Mutter ihm die Nachricht mitgeteilt hatte, fühlte er sich wie vor den Kopf gestoßen. Die Welt war versunken in einem dumpfen Strudel aus Blut, das sich mit Hochdruck durch seine Adern presste und an der Schläfe schmerzhaft zu pochen begann.
    »Was ist passiert?« Er hatte seine Mutter entsetzt angestarrt, unfähig, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
    »Wissen die Ärzte auch noch nicht. Die Uniklinik hat bei Marianne angerufen.«
    »Max? Tot? Max ist doch fit wie ein Turnschuh, das kann nicht sein.«
    »Florian, es tut mir so leid. Es ist schrecklich.«
    Marie-Louise war langsam von der Couch aufgestanden und hatte ihn zur Beruhigung tröstend in den Arm nehmen wollen, aber Florian konnte in diesem Moment keine Berührung ertragen, es war unmöglich. Er hatte sie schroff zurückgewiesen.
    »Marianne braucht mich jetzt, ich fahre zu ihr«, hatte sie ihm nach einer hilflosen Pause mitgeteilt und mit hängenden Armen leise hinzugefügt: »Ich hoffe, du verstehst das.«
    Er begleitete sie. Seine Mutter sah sehr blass aus, als sie im Taxi zu ihm sagte: »Den Sohn zu verlieren ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.« Dabei blickte sie angestrengt aus dem Fenster. Florian bemerkte, dass sie darum kämpfen musste, ihre Tränen zurückzuhalten. In diesem Augenblick kam er wieder zu sich. Bis zu diesem Moment hatte er sich wie in einem Kokon gefühlt, eingeschnürt in Sprachlosigkeit, die sich nun langsam auflöste. Wortlos legte er den Arm um die Schultern seiner Mutter und drückte sie sanft an sich.

     
    Wie im Film liefen die Bilder vor seinem inneren Auge ab, und Florian wälzte sich in seinem Bett auf die andere Seite. Durch die Gardine, die er wie immer nicht ganz zugezogen hatte, fiel in einem schrägen Streifen helles Mondlicht. Florian atmete schwer. Er hatte den Eindruck, als habe sich langsam

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