Henkersmahl
klasse Sendung. Versteht einer, warum Barrick ausgerechnet jetzt auf so eine Idee kommt?«
»Ja und nein.« Florian zuckte mit den Schultern und unternahm einen Erklärungsversuch: »Im Prinzip ist es ganz einfach, Theo. Immer dann, wenn der Erfolg auf Produzenten-, Darsteller- oder Moderatorenseite unverkennbar ist, hat der Auftraggeber, also in diesem Fall der Sender, etwas auszusetzen. Getreu dem Motto: Zu viel Lob schadet. Es könnte die Gefahr bestehen, dass er mehr Honorar fordert. Außerdem ist es sicher auch eine persönliche Angelegenheit. Carlo ist in Barricks Augen einfach zu vielen Menschen zu sympathisch. Das ist zwar gut für die Quote, schadet aber Barricks Selbstbewusstsein. Er muss Carlo mal wieder zeigen, wer der Chef im Ring ist. Gleichzeitig vermeidet er hiermit, dass Carlo zu viele Starallüren entwickelt. Immer schön klein halten, lautet die Devise. Für den Sender rechnet sich das übrigens.«
»Ist ja großartig«, Theo stöhnte. »Vielleicht sollte ich doch lieber in einer anderen Branche meine Zukunft planen. Friseur werden oder so.«
Alle lachten und die Redaktionssekretärin Patricia kommentierte trocken, mit einem Blick auf Theos wasserstoffblond gefärbte Haare, die am Ansatz dunkel waren: »Die Begabung hättest du auf jeden Fall.«
Theo lächelte verschämt und Fridolin ergriff das Wort. »Zurück zur Sendung. Wo habt Ihr diesen jugendlichen Kriminellen eigentlich aufgetan?«
»Curt hat einfach gute Kontakte«, antwortete Katja vage. Sie warf ihr halblanges braunes Haar in den Nacken und sah Florian an, der immer noch an der Küchenzeile lehnte.
Ihm kam das Bild von Weiberfastnacht in den Sinn, als er Katja in der Südstadt getroffen hatte. Schunkelnd und grölend, ein Kölsch in der Hand und als Zwiebel verkleidet, hatte sie sich vor dem rappelvollen Backes, einer beliebten Kneipe, mit anderen Jecken amüsiert, und wieder einmal wunderte er sich darüber, wie der Karneval die Menschen doch verändern konnte. Die fünfte Jahreszeit machte auch aus den größten Ekelpaketen für ein paar Tage die nettesten Mitbürger. Florian selbst war immer an Weiberfastnacht unterwegs. Er fand, es war der schönste Tag von allen. Die Kölner schmissen sich fiebrig erwartungsfroh in ihre Kostüme, und am frühen Morgen schon herrschte der absolute Ausnahmezustand. Es war eine einzige, riesige Party.
Katja fuhr fort: »Und nicht nur das. Curt hat in kürzester Zeit eine Top-Sendung aus dem Boden gestampft. Das weiß auch Regine zu schätzen.«
»Wie war die Quote? Wie hoch sind die Marktanteile?«, hakte Florian nach.
Katja lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, sah von einem zum anderen und erklärte wichtigtuerisch: »Der Auftritt dieses Jungen hatte Sogwirkung, die Zuschauer sind bis zum Schluss dabeigeblieben. Aber, was noch besser ist, wir hatten vier Prozent mehr Marktanteil als durchschnittlich. 20 Prozent!«
»Wow«, entfuhr es Fridolin, der sonst mit emotionalen Reaktionen eher zurückhaltend war. »Das ist sensationell.«
Katja sah Florian an. »Und, was sagst du dazu?«
»Toll«, sagte Florian. »Wo ist denn der Held?«
»In einer Besprechung mit Regine«, antwortete Katja knapp und sagte: »Kann noch ein Weilchen dauern. Soviel ich weiß, soll Curt auch die nächste Sendung vorbereiten. Er ist übrigens zum Redaktionsleiter befördert worden.«
»Schön für ihn.« Florian nahm seine Tasse und verließ den Raum. Wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass ihn Curts Beförderung zum Redaktionsleiter wurmte, denn er entsprach so ganz und gar nicht dem Bild von einem kompetenten, furchtlosen und schnell reagierenden Journalisten, das Florian vor Augen hatte. Max war ein ganz anderes Kaliber gewesen.
Als er über den Flur zu seinem Zimmer schlenderte, warf er einen Blick durch Curts geöffnete Bürotür. Er beobachtete, wie sich Curt und Regine aufmerksam über ein großes Blatt Papier beugten, vermutlich die aktuellen GFK-Daten, die Marktforschungsdaten der Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg, die Aufschluss über Erfolg und Misserfolg einer Sendung gaben. Regine sah auf und rief durch die Tür: »Guten Morgen, Florian. Alles in Ordnung bei dir?«
»Ja, ja, alles o. k.« Florian wollte rasch weitergehen, aber Regine reckte den Kopf und sagte: »Komm doch bitte mal zu uns.«
Florian blieb nichts anderes übrig, er musste ihrer Einladung folgen, obwohl er ebenso viel Lust auf ein Gespräch hatte wie auf seine Zahnschmerzen, die sich heute Morgen wieder
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