Henkersmahl
erschöpft übers Haar, dann glitt ihre Hand langsam hinab zur Schulter, wo sie sie einen Moment liegen ließ.
Florian ertappte sich dabei, dass er sich vorstellte, ihre Hand würde seine Schulter berühren.
»Verzeih, aber ich würde gern nach Hause fahren«, sagte Jana und unterbrach damit seine Fantasien.
»Schade. Nicht noch einen Campari Orange?«
Sie lächelte ihn an. »Ich hatte schon zwei.«
»Nächstes Mal bin ich pünktlich. Ehrenwort.« Florian war klar, dass Jana etwas bei ihm guthatte. Er winkte der Bedienung, beglich die Rechnung und half ihr in den Mantel. Sie sah überrascht auf und Florian senkte erfreut den Blick. Etikette war wieder in, das wusste er aus den Artikeln unzähliger Frauenzeitschriften, die sie wie viele andere Publikumszeitschriften in der Redaktion auf der Suche nach aktuellen Themen für die Talkshow regelmäßig durchforsteten. Innerlich dankte er seiner Mutter insgeheim dafür, dass sie ihm früher nicht erspart hatte, sich in Umgangsformen zu üben.
Als sie draußen vor der Kneipentür standen, schlang Jana sich fröstelnd einen leichten Schal um den Hals. Es war empfindlich frisch geworden, der Himmel war sternenklar. Florian atmete, den Kopf weit in den Nacken zurückgelegt, dankbar die wohltuende Nachtluft ein und sog sie tief hinunter bis in die Lungenspitzen.
Jana tat es ihm gleich. So standen sie einen Moment Seite an Seite. Florian roch in diesem Augenblick zwar nur eine Spur davon, aber er war eindeutig da, ihr Duft, ihr Parfum. Als Jana den Kopf vom Himmel abwandte und ihm, um sich zu verabschieden, die Hand gab, zog er sie in einer plötzlichen Regung dicht zu sich heran und gab ihr einen Kuss.
15
Gegen 11 Uhr am nächsten Morgen, es war Mittwoch, betrat Florian Halstaff die Redaktionsküche. Er war unausgeschlafen, denn nicht nur die Gedanken an Max’ Todesumstände hatten ihn am Einschlafen gehindert, sondern auch die Erinnerung an Jana. Ihre Lippen hatten nach schwarzen Johannisbeeren geschmeckt. Der Kuss hatte eine Unruhe in ihm ausgelöst, die ihm Angst machte. Er hatte kurz, aber deutlich, Janas Entgegenkommen gespürt, auch wenn sie sich dann sehr schnell und etwas verlegen von ihm verabschiedet hatte. Florian machte sich nichts vor. Der Kuss war genau zwei Sekunden zu lang gewesen, um ihn als freundschaftliche Geste oder als Ausrutscher abzutun. Er spürte, sein Jagdinstinkt war erwacht, und wusste, dass er nun vor sich selbst auf der Hut sein musste. Verlieben wollte er sich auf keinen Fall, und schon gar nicht in eine anscheinend ehemalige Freundin von Max. Außerdem war Max gerade mal knapp 40 Stunden tot, und das war nicht der beste Zeitpunkt für den Beginn einer Liebesgeschichte. Auch kam ihm der Kuss ein klein wenig wie ein Verrat vor. Florian wollte auf keinen Fall zu denjenigen gehören, die dem besten Freund die Frau ausspannen, ganz gleich, ob er lebte oder tot war. In Zukunft würde er ganz einfach die Hände von Jana lassen. Das war beschlossene Sache.
Florian goss sich einen Kaffee ein. Trotz der bedrückten Stimmung, die merklich auf den Kollegen lastete, konnte er den Keim zurückkehrender Unbeschwertheit bereits spüren.
Katja und Theo, der Praktikant, den alle mochten, und Fridolin, Redakteur wie Florian, sowie Patricia, die junge blonde Redaktionssekretärin, saßen an einem der drei runden Tische und tranken Kaffee. Die Sendung über die Jugendbanden, die Florian am Abend zuvor verpasst hatte, weil er mit Jana verabredet gewesen war, war offenbar ein voller Erfolg gewesen. Auch ohne Garcia. Curt hatte in letzter Minute einen adäquaten Ersatz gefunden. Florian würde sich gleich den Sendemitschnitt ansehen.
»Selbst Carlo war gut in Form«, sagte Fridolin, von allen Frido genannt.
»Eindeutig«, erwiderte Katja und sagte: »Aber stellt euch vor, Barrick will ihm, trotz des Sendungserfolges, erst einmal eine reinwürgen.« Sie sah vielsagend in die Runde.
Die anderen blickten sie fragend an, auch Florians Interesse war geweckt.
»Er will ihm ein Moderatorentraining verpassen«, erklärte sie.
»Wie bitte?« Florian konnte es kaum glauben.
»Ja. Nach fünf Jahren erfolgreicher Moderationstätigkeit meint Barrick, der sich von Jahr zu Jahr wichtiger fühlt, dass Quotenbringer Carlos Moderationsfähigkeiten noch optimierbar seien.«
»Und, was sagt Carlo dazu?« Fridolin sah Katja entgeistert an.
»Er weiß bisher nichts von seinem Glück«, antwortete sie.
Theo, der Praktikant, schüttelte den Kopf: »Es war doch eine
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