Henningstadt
trifft sich die Schwule Initiative Henningstadt sonntags von z wan z ig bis z weiund z wan z ig Uhr getreten. Durch diese Tür wäre er dann in ein Zimmer gelangt. Durch die gegenüberliegende Tür wäre der schönste Mann der Welt eingetreten, vielleicht ein Boxer, und hätte sich mit Ich bin die SIH vorgestellt. Dann hätte er ausgesprochen, was beide wollen: Du willst wissen, was Sex ist. Du bist hier, weil du geil bist. Leg dich aufs Sofa. Ich mach ’ s dir. Was dann allerdings die unterscheidenden Merkmale zu heterosexuellem Sex sind, hätte Henning nicht ge wusst, aber von schwulem Sex hätte er sich eine konkrete Vorstellung machen können.
Leider ist Mark nicht ganz der schönste Mann. Funk tio nieren würde es mit Mark aber durchaus.
«Du bist also schwul», teilt Mark ihm mit und fragt ihn, warum er hergekommen sei. Henning ist hergekom men, weil er schwul ist. Er weiß nicht, was er antworten soll. Dass er Leute kennen lernen will, könnte er sagen, aber das klingt ihm ein bisschen zu direkt. Dass er ein Pro blem haben soll, schwant ihm. Mark ist aber auch da mit zufrieden, dass Henning nichts zu sagen weiß.
Der Raum füllt sich langsam mit Leuten, die sich auf unterschiedliche Art begrüßen. Viele mit Küsschen links, Küsschen rechts. Wie die Mitglieder eines Vereins oder wie die Leute aus dem Familienkreis von Hennings El tern. Eine Art Familienkreis also. Henning hat eine pas sen de Schublade gefunden und fühlt sich gleich viel siche rer, was seine Interaktionsprinzipien in der folgen den Unterhaltung angeht.
Die Leute begrüßen ihn freundlich, aber niemand spricht ihn an, um mit ihm zu plaudern. Etwa fünfzehn Leute kommen mit der Zeit. Hennings Unwohlsein geht langsam in die Begeisterung über, unter so vielen Schwu len zu sein, wo er noch vor einer Stunde der einzige auf der Welt war.
Die Leute sehen größtenteils nach Studenten aus. Eini ge sind wohl zu alt, um Studenten zu sein. Die sehen aus, als hätten sie mal studiert. Jedenfalls lauter anständige Leute, wie seine Mutter das nennen würde. Vor allem reden sie ganz normal. Einige sprechen ein bisschen affektiert, wenn man sich reinhört, aber nicht schlimmer als jeder Pfarrer. Auf der Straße hätte Henning bei den wenigsten gedacht, dass sie schwul sind. Das beruhigt ihn, weil es heißt, dass er sich nicht anders und seltsam wird benehmen müssen, wenn er zu dieser Gruppe gehö ren will. Insgesamt ist der Ton eher zurückhaltend. Später wird er einige Eigenschaften insgeheim für schwul halten, weil er sie selbst hat. Allem voran sein Interesse für stein verätzende Schlager und seine häufige Geilheit. Aber das wird sich wieder geben.
«Sol l n wir mal langsam?», fragt Peter. Und tatsächlich legt sich das Gemurmel ein bisschen und die Teilnehmer richten ihre Blicke auf den Tisch oder ihre Hände. «Gibt es was zu besprechen, hat jemand ein Thema?», fragt er. Peter ist in gewisser Weise der Dienstälteste und erfüllt die Funktion mit Charme. Sein Vollbart und seine Ru bens figur geben ihm die Ausstrahlung des Felsens, auf den jeder Christus mit Leichtigkeit selbst in der Brandung des Gemurmels und Gekichers seine Kirche bauen könn te. «Unsere Flyer sind aus der Bücherei verschwunden! Ich hatte eine Nachricht von Frau Scheinschlag, der Biblio thekarin, auf dem AB. Es ist von Oben verfügt wor den, dass die Flyer da nicht ausliegen dürfen. Sie hat ge sagt, sie hat gekämpft wie eine Löwin, aber es hat nichts genützt. Sie empfiehlt uns ihren Rechtsanwalt. Gut. Viel mehr schlecht. Wir sollten uns überlegen, was wir da tun können.»
Halblaut tauschen die Männer Meinungen aus zu dem Skandal, von dem sie gerade in Kenntnis gesetzt worden sind.
Als nach einer Weile niemand laut was sagt, stellt Peter fest: «Wir haben heute auch einen Neuen», und sieht Henning an. Henning, der nun doch ganz froh ist, dass er beachtet wird, nickt und lächelt ein bisschen und sieht die Gruppe von unten nach oben mit treuem Blick an, was gar nicht so einfach ist, weil alle sitzen.
«Und ich schlage vor, wir machen erst mal eine Vor stellungsrunde, damit er wenigstens alle Namen mal ge hört hat.» Henning ist dankbar. «Ich fang mal an», sagt Peter. «Ich bin Peter, vierunddreißig. Ich komme seit» – er überlegt kurz — «ungefähr zwölf Jahren zur SIH. Damals hieß sie noch Schwuler Stammtisch.» Dann geht es im Uhr zeigersinn, und als die Reihe an Henning kommt, sagt er seinen Namen und wie alt er ist. Erstaunen folgt, weil er so
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