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Henningstadt

Henningstadt

Titel: Henningstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Brühl
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es besser, als wenn man es bloß weiß.
    «Woher willst du denn überhaupt wissen, dass ich schwul bin?» Jetzt hat er es gesagt: Dass ich schewuhl bin. Wie oft wird er das noch sagen, geht es ihm durch den Kopf. Er wird das Wort vor dem Spiegel üben. Schwul. Es ist anders als die andern Wörter. Es klingt so nach KZ, fällt ihm auf. Aber es fällt ihm nur auf, es gibt kein Gefühl dazu. Lars zögert. Henning sieht ihm in die Augen. Lars weicht seinem Blick aus, dann sieht er zurück in Hen nings Augen und lächelt. «Andrea hat ’ s erzählt.»
    «Dir?»
    «Ein paar Leute waren noch dabei.»
    «Na, toll!», sagt Henning.
    «Ja, aber keine Idioten! Mach dir keine Sorgen», sagt Lars.
    Weiß es gleich die ganze Stadt, denkt Henning. «Und woher weiß es Andrea?», fragt er.
    «Ich dachte von Isa.»
    «Wahrscheinlich», sagt Henning. Er nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarette und fühlt, wie der Rauch seine Lun gen füllt und Nebel sich überall ausbreitet. «Mir wird immer noch schwindlig von dem Nikotin», sagt Henning. Sie gehen zum Treppchen, das zum Eingang der Turn halle führt, und setzen sich. Er könnte sein Knie an das von Lars lehnen. Einfach, weil er gern die Nähe von je man dem spüren würde. Er traut sich nicht und will auch eigentlich nicht. Es wäre ziemlich missverständlich. Viel leicht wäre es auch eindeutig; Henning überlegt, wie es wohl wäre mit Lars im Bett. «Geht ’ s wieder?»
    «Ja, ja, ich find das auch ganz angenehm. — Ich dachte nicht, dass sich das so schnell rumspricht.»
    «Rumspricht! Also rumgesprochen hat es sich nicht. Andrea hat ’ s halt erzählt.»
    «Na, komm!»
    «Also, was ich dir erzählt hab, das bleibt unter uns», sagt Lars, der nun seinerseits alarmiert ist. Er hat sich kei ne Gedanken darüber gemacht, ist aber wohl davon aus ge gangen, dass Henning klar war, dass alle Bescheid wis sen. Oder jedenfalls die Leute, mit denen er zu tun hat. Es ging auch eigentlich gar nicht um Henning, als Andrea erzählt hat, dass er schwul ist, sondern um Isabell. Mit wem sie vielleicht als nächstes zusammenkommt, jetzt wo sie mit Andreas Schluss gemacht hat. Erik interessiert sich angeblich für Isa, und er, Lars, hat mehr als ein Auge auf sie geworfen, schon seit langem. Das wissen eigentlich auch alle. Er hat eben Andrea, als gute Freundin von Isa bell, gefragt, wie ’ s denn aussieht mit Isa und Henning. Andrea hat süffisant gegrinst und so getan, als sei er der letzte Hinterwäldler, weil er nicht weiß, dass Henning es nicht mit Frauen macht, wie sie sagte. Und es hat ihm zu denken gegeben, dass Henning schwul ist.
    «Wie hast du denn gemerkt, dass du schwul bist?», will Lars wissen. «Ich war mal mit Christine zusammen und wir haben auch ein paar mal Sex gemacht, und sie hat gestöhnt und so und mir hat es eigentlich kaum Spaß gemacht. Irgendwie. Also das war immer blöd — oder ko misch. Und. Also. Als ich dann gehört hab, dass du schwul bist, dachte ich, ich frag dich mal, wie du ’ s ge merkt hast.»
    Hennings Misstrauen hat sich gelegt. Lars sieht ehrlich besorgt aus. «Na ja, vielleicht hat ’ s ja auch an Christine gelegen. Dass ihr einfach nicht zusammengepasst habt im Bett», sagt Henning und findet es weitsichtig, dass er nicht alle Welt für schwul erklären will. Aber die Frage lautete ja anders.
    «Ich weiß auch nicht. Ich hab ’ s halt einfach irgend wann gewusst.» Er zögert. So einfach redet man halt nicht über Sex. Henning ist verklemmt aufgewachsen. Und auch wenn er das selbst albern findet und sich Mühe gibt, nicht so zu sein, fallt es ihm doch sehr schwer, die Dinge beim Namen zu nennen.
    «Also beim Wichsen — », würgt er raus. Lars sieht in interessiert an. Alle wichsen. Weiter im Text. «Beim Wich sen hab ich Phantasien gehabt — von Männern. Ich hab halt dann versucht, mir Is — eine Frau vorzustellen, aber zum Schluss, wenn ich komme, war ’ s dann doch wieder ein Mann. Und überhaupt. Auf der Straße oder so, da fallen mir Männer viel mehr auf als Frauen, und ich seh auch viel öfter ‘ nem Mann hinterher. Also würde ich je den falls gern. Mach ich natürlich nicht so auffällig.»
    «Aha», sagt Lars. Henning würde jetzt gerne hören, wie es denn nun ist, wenn Lars wichst.
    «Hast du jetzt was?», fragt Lars. Die Pause ist um.
    «Ja, Mathe, und ich kann heute nicht schon wieder blau machen.»
    «Ja, klar. Lass uns doch morgen Abend mal reden!»
    Sie stehen auf und gehen zum Schulgebäude zurück. Henning denkt, dass er

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