Henningstadt
an seine Rippen. Das mit den Eltern hat er Gott sei Dank hinter sich, und in seinen Beziehungen war es ihm zu blöd, Sachen zu verheimlichen. Bis auf die kleinen natür lich.
«Ja, stimmt. Ist ja nichts dabei. Ich bin halt nervös», sagt Henning.
«Die können nicht riechen, dass ich schwul bin. Und Freunde darfst du ja wohl haben.»
«Ja. Lass uns mal überlegen, wann und wo ich dich ken nen gelernt hab.»
Henning merkt, dass Steffen keine Lust dazu hat und er handelt die Sache schnell ab.
«Meine Eltern klopfen, bevor sie reinkommen», sagt er dann, um die vertraute Atmosphäre von eben wieder her zustellen. Hennings Eltern rumoren aber in der Woh nung, klopfen, wollen irgendwas wissen und schließlich fragt Hennings Vater im Auftrag der Mutter nach, ob Stef fen zum Abendessen dableibt. Er ist herzlich einge laden, es gibt aber nur Butterbrot.
Es ist Abendbrotzeit, wenn man nicht hetzen will, um die Nachrichten von Anfang an zu sehen. Steffen lässt sich breitschlagen und isst mit den Staigers. Die erzählen, wie sonnig es in Frankreich war und loben Henning für die aufgeräumte Wohnung. Dass er sich auch Mühe gege ben habe, sagt er. Dass man das merke, antwortet sein Vater. Wo sie sich denn kennen gelernt haben, will die Mutter wissen. In einer Kneipe, und zwar als er zusam men mit Andreas und Isabell da war. Bald nach dem Abendessen verabschiedet sich Steffen. Eigentlich hat er es nett gefunden, Family noch mal live zu erleben. Hen ning hat sich gefreut, seine Eltern wieder zu sehen. Das hält er für ein gutes Zeichen. Aber schon dass es Abendessen gibt, wenn Zeit ist, und nicht, wenn man Hunger hat, f indet er nervtötend.
33
Das Übel hat einen Namen, es heißt Schule. Auf dem Weg dahin hört Henning auf dem Walkman den schmet ternden Choral Ehre sei dir, Gott! gesungen, um wach zu werden und genügend positive Energie in seinen Körper zu lassen, so dass er es überhaupt dahin schafft und nicht unterwegs einen Tobsuchtsanfall kriegt oder von einer Brücke springt.
Zum ersten Mal nach einer Krankheit wie seiner zur Schule zu gehen, ist eigentlich ganz nett, macht er sich Mut. Ein paar Leute gibt es da ja doch, die er gerne wie der sieht, und ein bisschen ist man auch der Held des Wider stands, wenn man blau macht. Das kann man sich jedenfalls einbilden.
Pünktlich mit dem Klingeln betritt Henning den Klas senraum. Englischunterricht folgt. Englisch hat er nicht mit Isabell zusammen. Er macht sich Gedanken darüber, wie er sich verhalten soll, wenn er sie sieht. Es ist aber gar nicht gesagt, dass er sie sieht. Nicht unbedingt. Oder jeden falls kann es gut sein, dass er sie sieht, und sie ihn nicht. Dann kann er ausweichen oder sich stellen. Er hat auf keinen Fall Lust auf eine Szene in der Schule, wo sie rumtrompetet, dass er schwul ist.
Henning hat sich den Plan zurechtgelegt, dass er nach und nach die Leute, an denen ihm was liegt, abgreift und ihnen erzählt, dass er schwul ist. Aber nach und nach und erst mal sehen, wie die Ersten reagieren. Und dass er ich nen sagen will, dass sie es nicht rum erzählen sollen. Das will er lieber selbst machen. Er ist sich nicht sicher, wie gut sein Geheimnis aufgehoben sein wird. Andererseits ist es ihm auch egal. Er steht auf dem Standpunkt, dass er unschuldig ist, weil er sich nicht ausgesucht hat, schwul zu sein. — Und diese Schule hier predigt Toleranz. — Sehet ihr zu! Sollen sie sehen, wie sie damit klarkommen. Und vielleicht schweigen seine Leute ja doch wie Gräber. Glaubt er aber kaum. Vor allem bei denen, mit denen er nicht eng befreundet ist. Wirklich eng ist er nur mit Isa bell und vielleicht noch mit Lars. Also Isabell. Isabell ist meine Freundin. Isabell muss signalisieren, dass sie wie der mit ihm zu tun haben will. Er hat auch seinen Stolz. Hat er sich ausgesucht, dass er schwul ist? Ist es seine Schuld, dass sie mit Andreas Schluss gemacht hat, ausge rech net jetzt? Die Zicke! Allerdings hat er diesen Andreas im Verdacht, auch schwul zu sein. Oder ein bisschen. Ein bisschen schwul gibt es auch, oder? Vielleicht ist er selbst ja auch nur ein bisschen schwul. Schließlich hat er einen Ständer gehabt mit Isabell. Aber er hat auch mit dem Sessel im Wohnzimmer einen Ständer, wenn er sich an der gepolsterten Armlehne reibt. Immer hat er Angst, dass es Flecken gibt auf der guten Couchgarnitur. — Was für ein hartes Leben!
Katholiken und Evangelische haben sich vertragen. An der Schule sind Türken und Japaner und die Italiener
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