Henningstadt
fragen!», sagt Hennings Vater Arnold zu Hennings Mutter. «Es hilft doch alles nichts.»
«Ja», sagt Rosi bitter und weint schon mal ein Trän chen. Wenn es ernst ist, sagt sie nie viel. «Aber wie kann das denn sein? Er ist immer ein ganz normaler Junge ge wesen.»
«Na ja», sagt Hennings Vater. «Besonders jungenhaft ist er nie gewesen.»
«Nein», sagt Rosi. «Aber trotzdem!»
Der Autor könnte ein Home, sweet home - Schild an die Küchenwand der Staigers hängen. Oder den einsamen Geschlechtsakt eines Regenwurms im Vorgarten beschrei ben. Er wünscht sich, du könntest die Stille hören. Wenn Trauer und Ratlosigkeit miteinander reden, ist es still. Ganz still.
«Nun sag doch was!», bittet Arnold.
«Wir fragen ihn!»
Rosi nimmt eine Scheibe Brot und streicht dunkle Mar melade darauf. Süße beruhigt die Nerven. Dann isst sie appetitlos die eine Schnitte auf und zündet sich eine Ziga rette an, obwohl ihr Mann noch isst.
«Er kann doch trotzdem glücklich werden!», sagt Ar nold.
«Was haben wir denn falsch gemacht? — Was haben wir denn anders gemacht als die andern?»
«Wir haben überhaupt nichts falsch gemacht!», braust Arnold auf, um seine Frau von diesem Schuld-Ding run ter zuholen. «Manche Leute sind halt so.» Er weiß auch nicht, was sie falsch gemacht haben. Arnold geht ab und zu in die Sauna. Da sind die Schwulen immer dienstags. Nette Leute, sehen aus wie die andern Männer. Höflich, zurückhaltend, nackt. Und ihn sehen sie auch nicht weiter an. Er weiß, dass er dick ist. Sie sind ihm ziemlich egal. Aber dass Henning nun auch so sein soll, gefällt ihm nicht. Er hätte lieber eine junge Schwiegertochter, Isabell zum Beispiel, und ab und zu ein Enkelchen zu Besuch.
«Es sind bestimmt die Hormone!», sagt Rosi.
Arnold ist verdutzt. «Ja. Kann gut sein», antwortet er, denn für die Hormone kann schließlich niemand was.
«Es wird sich rumsprechen. Einer sieht ihn mal, wenn er unvorsichtig ist irgendwo — und dann wissen es alle.»
«Warum soll er unvorsichtig sein. Schließlich — und überhaupt: Vielleicht findet er die Richtige ja noch.» Da glaubt er selbst nicht dran.
«Ja», sagt Rosi. «Vielleicht ist er gar nicht homosexu ell.» Das ue ll ist kaum zu hören. Es hat ihr die Stimme ver schlagen.
61
Isa sieht Erik wieder. Sie bespricht sich mit ihm wegen Henning. Erik rät ihr, Frieden zu machen. De facto hätten sie das ja schon. Sie war für ihn da, als er sie gebraucht hat. Sie hat ihn getröstet.
«Das ist aber was anderes», sagt Isa. «In so ‘ ner Situa tion ist das was anders. Das heißt noch lange nicht, dass er — dass ich —»
«Los, ruf ihn an! Wir gehen alle drei zusammen ein Bierchen trinken», sagt Erik, denn Erik ist zufrieden, dass Henning nichts von Isa will, weil er schwul ist.
Isabell ruft Henning an. Sie gehen ein Bier trinken. Isa ist froh. Sie sehen sich, sie lachen zusammen. Aber Isa ist weiter weg als früher. Sie treffen Lars. Er setzt sich eine Wei le zu ihnen und flirtet Isa an. Isa flirtet zurück. Schließ lich ist sie mit Erik nicht zusammen und kann ma chen, was sie will. Erik wird sauer. Lars bleibt nicht lange. Er verabredet sich mit Isa für den nächsten Tag und geht. Erik beruhigt sich. Isa teilt ihm mit, dass er sie nicht ge pachtet hat, und das sieht er ein.
Henning zuckt ein paar Mal zusammen. Beim Schla gen einer Tür, als jemand irgendwas schreit, als Isa ein Glas auf den Tisch knallt.
Isa und Henning nehmen denselben Bus bis Steintor, Erik muss in die andere Richtung. Er bringt die beiden zum Bus und winkt.
«Und was ist jetzt mit Erik? Mit Erik und dir?»
«Ach, na ja, ich weiß auch nicht. Erik ist nett. Aber komisch.» Sie erzählt, dass sie sich von ihm hat verführen lassen und dass es schön war. Allerdings verlegt sie das Ereignis auf einen anderen Tag.
«Ich komme mir total ausgestoßen vor», sagt sie unver mittelt. «Ich hab echt das Gefühl, alle in der Schule glot zen mich an, wenn ich irgendwo stehe. Wie in einer schlech ten Soap. Alles wegen der blöden Katze.»
«So ist das Leben», sagt Henning. Henning hat die Geschichte mit der Katze von Lars gehört.
«Da wird schon Gras drüber wachsen», meint er. Isa bell beschimpft ihre bescheuerte, verklemmte Stufe. Hen ning hat ein Tränchen im Auge. Er denkt an seinen Skan dal. Aber Gras wird auch darüber wachsen. Nichts ist ewig interessant. Irgendwann haben ihn alle mal ange glotzt und dann ist es gut. Henning atmet ein und aus, und die Luft
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