Henningstadt
geschmacklose Oma-Handtäschchen.
Die trägt er ins Rathaus. Unbeobachtete Ecken gibt es genug. Dann nimmt er im Eis- Café gegenüber ein Täss chen Bohnenkaffee zu sich und beobachtet, wie die Feuer wehr kommt und erschrockene Behördengänger und Beam te das Rathaus stürmisch verlassen. Er bestellt ein zweites Stück Torte.
59
Es ist große Pause. «Na, du schwule Sau!», sagt einer aus der Schule zu Henning. Leider ist es keine Avance.
Der Reli-Kurs besteht nur aus sieben Leuten. Henning ist alleine im Klassenraum in einem abgelegenen Teil des Gebäudes. Der Typ ist kleiner als Henning. Henning hat ihn noch nie gesehen. Aus der Neunten oder Zehnten wird der sein, schätzt Henning. Henning packt sein Brot mit demonstrativer Ruhe zu Ende aus. Der Typ hat seine Freunde mitgebracht. Sie kommen in den Klassenraum. Hen nings Herz rast, äußerlich bleibt er vollkommen ruhig. Hier raus! beschließt er. Und geht auf die Tür zu. «Na, du schwule Sau, du Schwuli!», ruft der Typ. Die andern verteilen sich in den Ecken und scheinen keine Anstalten zu machen, in die Situation einzugreifen. Vielleicht irgendeine blödsinnige Wette, für die man Zeugen braucht, rätselt Henning. Der Kleine baut sich vor Hen ning auf: «Na, du schwule Sau!», sagt er zum dritten Mal. Wenn Henning sich nicht f ü rchten würde, dann würde er sich freuen, dass der Typ nicht mal ein anderes Schimpf wort kennt. «Lass mich in Ruhe!», sagt Henning laut und tapfer. Der Typ lässt ihn vorbeigehen. Henning atmet ein bisschen auf. Der Flur ist unbelebt, aber zum Foyer ist es nicht weit. Da sind dreihundert Leute und da gibt es die Pausenaufsicht. Der Typ geht neben Henning her. Seine Gefolgsleute umringen sie beide. Die Situation ist ziem lich bedrohlich. Henning hat Angst. Die sind nun mal zu fünft. Die sind auf allen Seiten, und er ist alleine. Da nützt es ihm auch nichts, dass er größer ist. Der Typ hat sich was überlegt: «Du Arschficker! Arschficker, du —» Hen ning dreht sich zu dem Jungen um, packt ihn am Kragen und stößt ihn ein Stück zurück. Er merkt es erst, während er es macht. Die Reaktion war vollkommen unwillkürlich. Er sieht, wie sich der Schrecken in das Gesicht des ande ren malt. Henning war schnell. Der Typ reißt kurz die Au gen auf. Während der Typ den ersten Schritt zu rücktaumelt, tritt er nach Henning und trifft ihn am Knie. Sie sind im Foyer angekommen. Der Typ hat aufgehört, Henning zu beschimpfen. Er greift an. Sie rangeln. Still. Die anderen halten sich raus. Bis jetzt. Henning hat Angst. Die sind zu fünft. Keiner kümmert sich um sie. Sieht denn niemand, was hier abgeht? Der Typ gibt ihm eine Ohr feige, trifft ihn aber nur am Hals. Henning sieht den Gers ten berger, der Aufsicht hat. Der Typ will abhauen. Hen ning denkt, dass er ihn nicht wieder findet, wenn er jetzt wegläuft und hält ihn fest. Er soll sagen, wie er heißt. Die andern vier rücken näher.
Gerstenberger steht auf dem Treppenabsatz und unter hält sich mit irgendjemandem. Henning ruft ihn. Der Typ windet sich hin und her, er stößt mit seinem Körper ge gen Henning. Von den Umstehenden und Umhergehen den kümmert sich keiner um das, was hier passiert. Viel leicht raffen sie ’ s nicht, denkt Henning. Soll er Hilfe rufen? Er ruft: «Herr Gerstenberger, helfen Sie mir mal!»
«Lass mich los!», sagt der Typ. «Lass ihn los, Mann!», gif tet einer von ihnen. Die stehen jetzt ganz dicht um Hen ning und machen finstere Gesichter, aber keiner greift ein. Bis jetzt. Gerstenberger dreht sich um, sieht in Hen nings Richtung, sieht ihn an, dreht sich wieder weg. «Schwule Sau!», sagt der Typ noch mal. Er ist zu blöd, sich einen Namen auszudenken. Einer aus der Bande rem pelt Henning an die Schulter und der Typ stößt Hen ning mit seinem ganzen Körpergewicht gegen die Wand. Der Braunhaarige knallt ihm noch eine. Henning lässt los. Die fünf hauen ab und verschwinden im Getümmel.
Pausengeräusche flimmern über Henning weg.
Henning geht raus, eine rauchen. Er geht zu Lars und fragt nach einer Zigarette. Isabell steht neben ihm. Hat Hen ning zu spät bemerkt, weil hier alle dicht an dicht stehen. Sie unterhalten sich. Isabell sieht Henning nicht richtig an, geht aber auch nicht weg. Henning zieht an der Zigarette. Seine Knie werden auf einmal weich. Es klein gelt, die Pause ist um. «Der hat mich getreten, weil ich schwul bin», sagt Henning unvermittelt. Er geht mit den andern Richtung Eingang. «Wer?», fragt Lars.
«Wann?»,
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