Henningstadt
«Genau!»
Tete ist genervt. «Toll, toll, toll! Was weißt du über haupt von mir?» Sie regt sich auf. «Weißt du überhaupt irgendwas?» Vor lauter emotionaler Kraft lässt Tete die flache Hand auf das Tischchen niedersausen. Ein paar Stif te klirren erschrocken auf. Durch das schöne Wort Ja beantwortet das Schicksal Tetes Frage.
«Und was weißt du?»
«Ich weiß, du musst Ja sagen! Du machst alles falsch! Ganz falsch!», insistiert das Schicksal. Inzwischen hat es eine tiefe grollende Stimme angenommen. Es will sich Nach druck verleihen. Eigentlich kann Tetes billiges Tele fon solche Soundeffekte gar nicht hervorbringen. Viel leicht ist das Schicksal Telekommunikationsingenieur?
«Wozu?» Wenn das Schicksal denkt, es kommt damit durch, dass es auf stur schaltet, hat es sich geschnitten. Stur kann Tete auch sein. Schließlich hat man ihr schon den Unbeugsamen Haselnuss z weig von Spandau zugespro chen. «Wieso!» Sie zischt das Zischen einer Schlange bei Sturm.
«Weil ich sonst böse werde. Unbill über Unbill türme ich auf dein Haupt!»
Tete duckt sich unter den zunächst noch akustischen Schlägen des Schicksals.
«Das sieht dir ähnlich!», knurrt Tete und hält den Hö rer etwas von ihrem Ohr weg.
Das Schicksal antwortet ganz leise, deshalb versteht sie nichts. «Was?», fährt sie das Schicksal an.
«Ich sagte, das liegt aber nicht an mir. — Denn wer sich in den Wind stellt, der steht im Wind», sagt das Schicksal leise, aber doch tönend.
«Ach, das ist doch die reinste Krankheit-als-Weg-Le bensanschauung!», wettert Tete. Und dreht sich nach dem Buch um, ob es schon glüht.
«Ja», sagt das Schicksal. «Genau!»
«Und mit der Einstellung willst du durchs Leben kommen?», spottet Tete.
«Nein», sagt das Schicksal. «Ich nicht.»
«Ja ich auch nicht!», sagt Tete und knallt den Hörer auf die Gabel.
«Idiot!», schimpft sie. «Spinner!»
Steffen steht über den Nudeltopf gebeugt und rührt.
«Und? Was ist mit Martin?»
«Keine Ahnung.»
«Ich denke, ihr habt gerade telefoniert.»
«Nein.»
«Aber du hast doch gerade telefoniert!»
«Ja.»
«Und mit wem?»
«Mit niemandem», faucht sie Steffen an.
«Bist du verrückt geworden, Liebling?»
Tete stöhnt.
Gelangweilte Männer können den unglaublichsten Ge genständen die größte Aufmerksamkeit schenken.
«Der Typ am Telefon hatte sich verwählt.»
«Und er war nett?»
«Nein.»
«Aber ihr habt euch unterhalten?»
«Ich hab nicht gleich gemerkt, dass er nicht nett ist.»
«Aha», sagt Steffen. «Soll ich mal Martin anrufen?»
«Nein, lass! Ich mach schon.»
Tete stapft los, und Steffen schüttelt den Kopf über sie. In solchen Phasen muss man einfach abwarten. Tete kriegt sich dann schon wieder ein.
Tete nimmt ab und wählt Martins Nummer.
«Hallo, Tete!», sagt das Schicksal.
«Hallo Martin!», sagt Tete tapfer, um die Erscheinung durch Ignorieren zu bannen.
«Du kannst mich nicht ignorieren», sagt das Schicksal böse.
«Ja, ja, die alte Leier. — Ich möchte Martin sprechen. Wohnst du jetzt auch bei Martin? Gib ihn mir bitte.» Das ist ein immerhin gütlicher Versuch, das Schicksal in ihr Leben zu integrieren. Aber das Schicksal bleibt hart.
«Ich wohne überall! — Du musst Ja sagen!», sagt das Schicksal.
«Ja, ja!», sagt Tete, legt auf und wählt neu. Das war mit Sicherheit nicht Martins Stimme. Es sei denn, er ist Bauchredner. Tete ist ein bisschen schwindelig. Die Welt ist hin ter einem sanften Schleier aus fast nicht sichtbarem glit zernden Nebel. Freizeichen. Die Verbindung wird herge stellt. Ein leises Rauschen ist zu hören, niemand meldet sich.
«Bist du dran?», fragt die gebeutelte Tete.
«Wer sonst?», gibt das Schicksal zurück.
Tete stöhnt auf. Sie überlegt, ob sie in letzter Zeit ir gendwelche Drogen zu sich genommen hat und kommt zu einem negativen Ergebnis.
«Na ja», sagt Tete kleinlaut. «Du bist es also.»
«Genau!», grollt das Schicksal. «Sag Ja! »
«Was soll das denn! Was willst du von mir? Ja? Ja! Ja-ha! Soll ich Scheiße fressen und darüber glücklich sein, du Arschloch?»
Auch Tete, die wir bis jetzt als gepflegte Dame, wenn auch mit unordentlicher Küche, kennen gelernt haben, ge fällt sich gelegentlich in einer kraftvollen Bildlichkeit. Und dieses Schicksalsgespräch hält sie für eine Gelegen heit. Ist es ja auch.
Das Schicksal lässt sich davon nicht aus der Fassung bringen: «Du kannst auch meine Pisse trinken», räumt es ge lassen ein. Seine Stimme klingt
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