Henry - Das Buch mit Biss (German Edition)
deinem Laden. Erst
wollte ich dich ja rein tragen, aber ich hatte keinen Schlüssel.“
Das
war gelogen, zumindest zum Teil. Ich hatte nicht wirklich Skrupel irgendwo
einzubrechen und Schlösser zu knacken war nun wirklich nicht schwer. Doch ich
hatte es einfach nicht übers Herz gebracht sie zu wecken.
Ich
bin schon ein kleines Weichei, manchmal.
Hannah
lächelte zaghaft. „Unter der Fußmatte.“
„Alles
klar. Ach ja hier.“ Ich drückte ihr einen dampfenden Kaffebecher in die Hand.
Hannah
nahm ihn dankend entgegen. (Ich mag ja zeitweise ungehobelt oder hormonell
beeinträchtigt sein, aber ich weiß immer noch, wie man ein Mädchen am Morgen zu
behandeln hat.)
Manchmal
denke ich, dass man es gar nicht so schlecht hat als Hund. Jeremys schmerzhafte
Verwandlung hätte mich eines Besseren belehren können, tat sie aber nicht.
Als
neugeborener Vampir war es mir ebenso ergangen. Halb wahnsinnig vor Schmerz und
Durst.
Als
Hund war es einem wenigstens möglich in der Sonne zu spazieren, Menschennahrung
zu sich zu nehmen und zu schlafen. Es war lange her, dass ich jemanden dabei
beobachtet hatte, wie er erwachte. Es schien fast ein kleines Wunder.
Während Hannah im ersten
Stock, wo ihre Wohnung war, duschte und sich anzog, saß ich unten in der
Kissenecke der Buchhandlung und grübelte über Jeremys Schicksal.
Wer
hätte gedacht, dass ich mir je solche Sorgen um diesen blöden Köter machen
würde?
Ich
musste es ihm erklären. Dass Hannah und ich nur Freunde waren. Aber wie? Und wo
sollte ich anfangen ihn zu suchen?
„Lebst
du eigentlich allein?“
Die
Frage rutschte mir einfach raus, als sie auf mich zukam. Hannah rubbelte sich
die Haare mit einem flauschigen Handtuch trocken.
„Das
fällt dir erst jetzt auf?“
Ich
begriff, dass ich doch nicht so viel über das Mädchen vor mir wusste, wie ich
angenommen hatte.
„Wo
sind deine Eltern?“
Unglaublich,
dass ich das nicht früher gefragt hatte. Hannah schien es ebenso unglaublich zu
finden.
„Tot“,
sagte sie leichthin. Doch das nahm ich ihr nicht ab.
„Was
ist passiert?“, bohrte ich nach.
Da.
Genau in diesem Moment, in dem Hannah mir ihren Rücken zuwandte, umgeben von
nichts als unzähligen staubigen Regalen, kam sie mir plötzlich unendlich allein
vor.
Mein
ganzes Leben lang (und all die Jahre danach) hatte ich Bücher immer als etwas
Tröstliches empfunden. Als etwas, das atmete und einem Gesellschaft leistete. Nun
erschienen sie mir wie nichts als trockene, aneinandergereihte Seiten. Kein
adäquater Familienersatz. Hannah hatte so vieles verloren.
„Sie
wurden von Vampiren umgebracht. Es war-“ Sie winkte ab. „Ich will jetzt nicht
darüber reden, okay?“
Ich
nickte langsam. Deswegen hatte sie sich also so aufgeführt, als sie erfahren
hatte, was ich war. Ich begann zu verstehen. Mich überkam das Gefühl von Scham.
Von
Vampiren umgebracht… Oh man, reichte es nicht, dass sie meinetwegen ihr Rudel
verloren hatte und dass Jeremy auf und davon war? Kein Wunder, dass sie
Vorurteile gegenüber Blutsaugern wie mir hatte.
„Ihr
schlaft nicht, oder?“ Ihre Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Hannah
betrachtete mich aufmerksam. „Hast du die ganze Zeit neben mir Wache gehalten?“
Mein
schräges Grinsen schien sie aufzuheitern. „Ich kann auch ein guter Wachhund
sein, wenn ich will.“
„Isi
macht sich sicher Sorgen um dich.“
Das
wusste ich auch. Doch ich hatte mich bereits darum gekümmert. „Ich hab sie die
Nacht angerufen. Und sie macht sich nicht nur um mich Sorgen. Es war ihr
ausdrücklicher Befehl, dass ich auf dich aufpassen soll.“ Ich stand auf und
ging auf Hannah zu. Nahm ihre Hände in meine. „Was auch immer passiert, Isi und
ich sind immer für dich da. Nur … nur dass du Bescheid weißt, ja?“
Hannah
lehnte ihre Stirn an meine Schulter.
Ihre
nassen Haare kitzelten in meinem Gesicht.
Mein
Blick fiel auf die Wunde an ihrem Hals. Jeremys Biss-Spuren. Für einen kurzen
Augenblick hob ich meine Hand, ohne zu wissen, was ich damit eigentlich
anfangen wollte.
Vielleicht
ihre Wunde befühlen, vielleicht -
Doch
dann ging ich auf Abstand. Ein erneuter Anflug von Schuldgefühlen durchzuckte
mich. „Du musst Jeremy suchen. Nachsehen, wie es ihm geht.“
Hannah
schien für eine Sekunde lang nicht zu wissen, wovon ich redete, dann nickte
sie. „Ja, ja sicher.“ Sie fuhr sich durch ihr Haar, noch immer etwas konfus.
„Weißt du zufällig, wo meine Brille ist?“
„Jaah,
also…“ Vorsichtig zog ich das
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